Rotglut
kann sich kaum auf den Beinen halten, in seinem Knie pocht ein höllischer Schmerz, er glaubt zu spüren, wie ihm Blut die Wade herunter rinnt. Plötzlich muss er stehen bleiben, gehalten links und rechts von Händen, die seine Arme umklammern wie ein Schraubstock.
Ein Wagen nähert sich, hält, eine Tür wird geöffnet, man schiebt ihn auf den Rücksitz eines offensichtlich kleinen Wagens. Dem Motorengeräusch nach könnte es sich um einen VW Käfer handeln. Türen werden geschlossen, der Wagen fährt an. Rosenberg versucht zu schätzen, wie lang die Fahrt dauert. Sein Zeitgefühl hat er komplett verloren. Es können ein paar Minuten oder auch eine Stunde vergangen sein, bis das Auto abgebremst wird und zum Stillstand kommt. Autotüren werden geöffnet. Es riecht nun nach Erde, nach Bäumen, ein harziger Geruch, wie von frisch geschlagenen Tannenbäumen. Fast wie Weihnachten. Aber es ist nicht Weihnachten, es ist Sommer.
Seine Entführer zerren ihn aus dem Wagen, wieder fällt er auf die Knie, er möchte schreien, doch das Klebeband hindert ihn daran, und so entfährt ihm lediglich ein gepresstes Stöhnen. Der Boden, über den er geschleift wird, ist weich. Haben sie ihn zurück in den Park gebracht, wo seine Entführung begonnen hat? Hoffnung keimt in Rosenberg auf. Hier wird man ihn wieder freilassen, sonst hätten sie ihn doch bestimmt schon gleich umgebracht, nachdem er ihren Namen gerufen hat. Er wird großzügig sein und die jungen Leute nicht verraten. Die Hauptsache ist, lebend aus diesem Albtraum rauszukommen.
Die Hände halten ihn fest, gebieten ihm, stehen zu bleiben. Seine Schultern straffen sich. Bald ist er wieder ein freier Mann. Rosenberg versucht trotz Klebeband ein zuversichtliches Lächeln.
Stegmann hört den Schuss, sieht, wie der Mann in sich zusammensackt, zu Boden geht. Wie ein gefällter Baum. Dann ist es vorbei. Er duckt sich hinter dem Stapel aufgeschichteten Holzes, kriecht seitlich an ihm entlang und beobachtet, auf dem Boden liegend, die unheimliche Szene. Der Junge hat mit einer Kaltblütigkeit abgedrückt, die sogar Stegmann in Erstaunen versetzt hat. Nur das Mädchen hat sich weggedreht, die Hände vor das Gesicht geschlagen. In diesem Moment zieht der Mörder etwas aus seiner Jackentasche und verstaut, was auch immer es ist, in der Hosentasche der Leiche. Dann kommt der andere Junge mit zwei Klappspaten vom Wagen zurück.
Nun liegt Stegmann mittlerweile seit fast einer Stunde unbeweglich hinter dem Holzhaufen. Bald müsste das Loch groß genug sein, um den Mann hineinzuwuchten.
Was wird das denn? Jetzt wickeln sie den leblosen Körper in eine dünne, durchsichtige Plastikplane, die wohl ebenfalls mit den Spaten im Wagen gewesen war. Zu dritt zerren sie den Leichnam zu der ausgehobenen Grube, schieben und drücken, bis der Körper an Ort und Stelle liegt. Bis jetzt haben sie kaum ein Wort gesprochen, lediglich das Schluchzen des Mädchens war ab und an zu hören, jedes Mal gefolgt von der warnenden Stimme des Mörders, sie solle nun endlich ihre Klappe halten.
Eigentlich könnte Stegmann nun verschwinden, doch er befürchtet, dass ein knackender Zweig oder eine unbedachte Bewegung die Aufmerksamkeit der drei auf ihn lenken könnte. Besser, er wartet ab, bis sie verschwunden sind. Sonst liegt er am Ende womöglich noch neben dem toten Bankier.
Plopp, plopp. Erde wird mit Schwung auf den leblosen Körper in seinem Kunststoffleichenhemd geworfen. Zu guter Letzt verstreuen sie Reisig und Äste über der Grube. Der Platz ist gut gewählt. Weit genug entfernt von einem Weg, den ein Spaziergänger wählen würde.
Die Entführer verharren kurz neben ihrem Werk – dann greifen sich die beiden jungen Männer ihre Spaten, einer hakt das Mädchen unter und sie kehren zu ihrem Wagen zurück. Stegmann wartet noch einen Augenblick, dann vernimmt er das Starten eines Motors.
Seine Beine sind eingeschlafen und kribbeln, als er hinter dem Holzstapel auftaucht. Das Motorengeräusch wird immer leiser, dann ist es still. Vorsichtig nähert er sich der Stelle, wo die drei gebuddelt haben. Dann steht er vor Rosenbergs Grab. Ohne eine Gefühlsregung starrt er auf die Zweige, die es bedecken.
Er fragt sich, warum die Entführer den Bankier umgebracht haben. Hat er seine Kerkermeister zu guter Letzt noch erkannt? So muss es sein, sie haben durchgedreht. Wenn Stegmann sie aber der Polizei übergibt, ist er selbst dran, denn er hat ja das Geld einkassiert oder zumindest den größten Teil davon.
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