Rotglut
Möglichkeiten: Entweder hatten die nie vor, Rosenberg die Sache lebend überstehen zu lassen, oder Rosenberg hat zum Ende seiner Entführung die Gesichter der Täter gesehen, bevor es zur Geldübergabe kam. Dann haben die die Nerven verloren, ihn erschossen und anschließend noch schön abkassiert.«
Harry riss das Papier eines Schokoriegels auf. »Oder Stegmann hat gelogen. Hat das Geld selbst behalten und ist gar nicht zur Übergabe erschienen«, überlegte er kauend.
Hölzle stützte seinen Kopf mit der linken Hand und massierte mit der rechten seinen verspannten Nacken. »Oder, Harry, Stegmann hat die Entführer erkannt, sie erpresst, das Geld eingesteckt. Und um das alles glaubwürdig aussehen zu lassen, hat er sich selbst verletzt.«
Harry hob die Augenbrauen. »Etwas weit hergeholt deine Theorie, findest du nicht? Ich meine, wie wahrscheinlich ist das denn?«
»Keine Ahnung«, Hölzle zuckte mit den Achseln, »aber er hat für den Verfassungsschutz gearbeitet, das ist sicher, und dadurch bestimmt einige Leute aus der linken Szene gekannt. Ganz so unwahrscheinlich ist das also nicht.« Hölzle wickelte einen weiteren Schokoriegel aus dem Papier. Gerade wollte er davon abbeißen, als ihn eine Stimme anherrschte.
»Können Sie das mal unterlassen? Sie können doch nicht mit Ihren Schokofingern die Akten anfassen!« Hölzle drehte sich schuldbewusst zu dem Archivmenschen um. »’tschuldigung, aber ohne das funktioniert mein Hirn nur auf Sparflamme.«
»Ihr Problem«, grunzte der Mitarbeiter.
Hölzle verzog das Gesicht und wickelte den Riegel wieder ein, blickte Harry an und meinte: »Ich glaub, ich schau mir mal die alten Mikrofilme des Weser-Kuriers an. Mich interessiert, was die Presse damals über das Attentat geschrieben hat.«
Harry Schipper stöhnte auf. »Du willst doch nur hier raus und deine Schokoladensucht befriedigen.«
Hölzle grinste. »Und wenn’s so wäre? Ich bin hier der Chef. Bis später. Und vergiss nicht, den Müll mitzunehmen.«
Wenig später hatte die freundliche Dame, die für das Archiv arbeitete, die Mikrofilme herausgesucht und in ein Lesegerät eingelegt. Nun saß Hölzle in dem kleinen Raum und ließ seine Augen über den Bildschirm huschen. Da! In der Ausgabe des Weser-Kuriers vom 9. Dezember 1974 wurde erstmals über das Attentat Bericht erstattet. Die Polizei hatte eine Sonderkommission eingerichtet, die den Anschlag linksextremen Terroristen zuordnete. Die Rede war von einer Nachfolgeorganisation der Baader-Meinhof-Gruppe. Es hatte mehrere Verletzte gegeben, ein Mädchen hatte es besonders schlimm getroffen, sodass sie in die Neurochirurgie eingeliefert worden war.
Laut Bericht waren Bomben dieser Bauart bereits vorher in Hamburg und Frankfurt verwendet worden, und es hatte wohl auch einen Drohbrief zwei Tage vor dem Attentat gegeben, in dem eine Live-Sendung im ZDF für einen Auftritt von Baader, Meinhof und Ensslin gefordert worden war. Zudem hatte ein anonymer Anrufer 20 Minuten vor der Explosion bei der Feuerwehr angerufen und einen Anschlag auf ein Kaufhaus angekündigt.
Hölzle spulte den Mikrofilm vorwärts zum nächsten Tag.
Das BKA in Wiesbaden war überzeugt, dass der Sprengsatz von linksextremen Terroristen stammte. Allerdings gab es auch eine Erklärung des Baader-Meinhof-Anwalts, dass sich die Gruppe ›nie gegen das Volk‹ richten würde, was die Polizei natürlich ganz anders sah. Auch nach zwei Hausdurchsuchungen gab es aber keine heiße Spur.
Hölzle suchte weiter, doch er fand keinen Artikel mehr. ›Des isch scho komisch. Eigentlich müsst man erwarte, dass so a Verbrecha von dr Bolizei ond von dr Bresse länger verfolgt wird. Ond jetzt, nach a paar Tag, liest mr gar nix mehr.‹
Die Theorie, dass das Attentat vom Verfassungsschutz mit Duldung des Innensenators und Polizei inszeniert worden war, schien Hölzle nicht mehr so abwegig. Aber konnte er dies beweisen? Missmutig machte er sich zurück auf den Weg in den Keller zu Harry.
*
Peter Dahnken blätterte derweil in den Gerichtsakten des Karstadt-Attentats. Doch vergeblich, keine neuen Erkenntnisse. Schließlich kam ihm eine Idee. Er wählte die Nummer von Hölzles Handy. Keine Antwort. Dann fiel ihm ein, dass sein Chef mit Harry im Keller des Staatsarchivs saß und bestimmt kein Netz hatte. Mist.
Seufzend packte er seine Sachen zusammen und fuhr in die Stadt.
Peter fand seine Kollegen über Aktenordner und Mappen gebeugt. »Moin zusammen. Es gibt ein paar Neuigkeiten. Der Zeuge Gerd
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