Rotkäppchens Rache
scheltendes Geräusch und befühlte erst Schnees Wangen, dann ihre Stirn.
»Ich bin einfach nur müde!«, protestierte Schnee.
»Du bist kalt. Dein Atem geht schnell und flach und deine Pupillen sind geweitet.« Faziya fuhr Schnee sanft mit den Fingern durchs Haar. »Diese harte Schwellung hier - bist du da am Kopf verletzt worden?«
»Ich brauche nur etwas Schlaf, dann geht es mir wieder gut.« Schnee bedeckte mit einer Hand ihre Augen. »Arathea ist zu hell.«
»Du brauchst Essen und Wasser, damit du wieder zu Kräften kommst«, beharrte Faziya. Sie zwickte Schnee in den Handrücken. »Du hast nicht genug getrunken. In der Wüste braucht dein Körper mehr Wasser.« Sie drehte sich um und rief einem der anderen Kha’iida zu, ihr einen Wasserschlauch zu bringen. Wieder an Schnee gewandt, fügte sie hinzu: »Du weißt, dass es gefährlich ist zu schlafen, nachdem man sich eine Kopfverletzung zugezogen hat.«
»Das ist keine frische Verletzung«, widersprach Schnee. »Sie ist über ein Jahr alt
-«
»Aber nie völlig verheilt«, konterte Faziya. »Du hast sie verschlimmert. Du brauchst Ruhe, aber keinen Schlaf.«
Danielle beugte sich dicht zu Talia hin. »Was meinst du, welche wird gewinnen?«
»Ich dachte, du verstehst kein Aratheanisch!«, wunderte sich Talia.
»Nein, aber ich kenne Schnees Ton.« Danielle sah an Talia vorbei, und ihr Lächeln schwand.
Als Talia sich umdrehte, sah sie noch mehr Soldaten Lakhims näher kommen. Ein Knurren baute sich tief in ihrem Rachen auf. Das Ebenholzpferd musste weiterhin Lakhims Männer gebracht haben. Sie waren den Kha’iida zahlenmäßig inzwischen fast zwei zu eins überlegen, darüber hinaus waren die Neuankömmlinge frisch und kampfbereit. »Bleib hier!«
Talia ging ihnen entgegen. Sie war nicht überrascht, als Danielle ihr nachkam.
Der Raqeem ging an der Spitze seiner Männer. Seine Rangschärpe war um eine klaffende Wunde in seinem Oberschenkel geknotet. Er hielt die Hände offen, fort von seinen Waffen - ein schwacher Trost angesichts der Tatsache, dass seine Männer Schwerter und Speere umklammert hielten.
»Talia!«, sagte der Raqeem. »Unsere Anweisungen lauten, Euch zurück zu Königin Lakhim zu bringen.« Wenigstens hatte er den Anstand, entschuldigend zu klingen.
Talia breitete die Arme aus und lächelte. »Bitte sehr!«
»Augenblick!« Muhazil kam und stellte sich neben sie. »Dies ist Talia Malak-el-Dahshat. Sie hat ihr Leben riskiert, um dieses Land zu retten. Wahrscheinlich hat sie Lakhim das Leben gerettet.«
»Sie hat Prinz Jihab ermordet«, sagte der Raqeem. »Was immer sie sonst getan haben mag, für diesen Tod muss sie sich verantworten.«
Diejenigen Kha’iida, die noch kämpfen konnten, schwärmten hinter Talia aus und zogen die Waffen.
Talia trug immer noch ihre eigenen Messer, aber sie machte sich nicht die Mühe, sie zu ziehen. Selbst mit einer verletzten Hand könnte sie vorspringen und dem Raqeem den Hals brechen, bevor jemand reagieren konnte. Sie wollte kämpfen. Die Zahl der Gegner war egal. Diese Männer dienten Lakhim, der Frau, die Talia zum Tod verurteilt hatte. Deren Familie Talia alles genommen hatte, was sie je gekannt hatte: Ihr Volk, ihr Erbe, sogar ihre Kinder.
Zestan hatte recht gehabt. Arathea würde Dornröschen folgen. Genau wie Rajils Wachen sich gegen ihre Raikh gewandt hatten, um Talia zu helfen. Genau wie die Kha’iida sich jetzt hinter ihr scharten. Mit einem Kampf nach dem andern konnte sie Arathea zurückerobern.
»Was willst du?«, fragte Danielle. Sie hatte nicht einmal das Schwert gezogen.
Talias Zorn verrauchte. Wenn sie kämpfte, würde Danielle mittendrin stecken. Faziya und Schnee lagerten zwar weiter hinten, aber es bräuchte nur einen verirrten Pfeil, um ihr Leben zu gefährden. Schnee würde versuchen zu kämpfen, und wer konnte sagen, was passieren würde, wenn sie sich weiterhin zu viel Zauberei abverlangte?
Roudette hatte ihr ganzes Leben mit Kämpfen verbracht. Talia wollte nicht denselben Pfad beschreiten.
Danielle musste die Antwort in Talias Gesicht gelesen haben. Sie trat vor und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Geh mit ihnen mit.«
»Ich kann doch nicht -«
»Vertraust du mir?«
Talia funkelte sie an. Danielles Lächeln war ausgesprochen unpassend für jemanden, der zwischen wütenden Kriegern stand.
»Diese Soldaten sind auch Männer aus Arathea«, sagte Danielle. »Dein Volk. Ich habe dich während der vergangenen Woche beobachtet, Talia. Ich weiß, dass du nicht
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