Rotkäppchens Rache
»Danke.«
»Natürlich hat sie das!« Schnee stolperte über einen halb vergrabenen Stein. Als Zestans Wirbelwinde zusammengebrochen waren, hatten sie eine Sandmenge herabregnen lassen, mit der man mehrere Dünen hätte aufschichten können. »Musstest du unbedingt Sand über alles kippen, als du sie getötet hast? Ich hab mich noch nie im Leben so verknirscht gefühlt!«
Draußen hatten sich die Überlebenden in zwei Gruppen aufgeteilt. Viele Kha’iida hatten sich um Zestans Leiche geschart und sangen ein düsteres, melancholisches Lied, das Talia an einen Trauergesang erinnerte. Sie erkannte weder die Melodie noch die Sprache. Weiter weg versorgten andere die Verwundeten. Talia suchte, bis sie Faziya entdeckte.
»Ich glaube, ich würde jetzt gern heimgehen«, sagte Schnee.
Talia lächelte und half Danielle, Schnee an die Mauer in den Schatten zu setzen. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie Muhazil auf sich zukommen. Er hatte Danielles Schwert bei sich.
»Eine prachtvolle Waffe«, sagte er, indem er sie Danielle hinhielt.
Talia übersetzte, und Danielle verbeugte sich und nahm ihr Schwert zurück. »Wie sagt man ›danke‹?«
»Khuran«, antwortete Talia. Danielle wiederholte das Wort.
Talia drehte sich um und sah zu, wie die Kha’iida reihum vor Zestans Leiche knieten. Einer nach dem anderen schnitten sie ihr mit ihren Messern eine Locke ab, die sie in den Sand neben die Peri legten.
»Sie hatte vor, euch alle zu versklaven«, sagte Talia.
»Ich weiß.« Muhazil berührte den kurzen Haarstrang an seinem Hals. »Die Peri gründeten die Kha’iida-Stämme. Sie beschützten uns vor den Deev. Wir trauern um das, was sie war, nicht um das, was aus ihr wurde.«
»Ihr Barbaren habt ein paar merkwürdige Sitten.« Talia reichte ihm die Überreste des Kristallmessers. »Es tut mir leid. Es war mir nicht klar -«
Er tat ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. »Jede Klinge war dazu vorgesehen, nur ein Mal benutzt zu werden. Nur indem sie ihre ganze Kraft entladen, können sie die Macht eines Deev überwinden.« Seine Stimme wurde weicher. »Oder einer Peri.«
»Was ist mit den andern Peri?«, fragte Talia.
»Wir werden Reiter in die Berge aussenden«, erklärte Muhazil. »Es gibt alte Straßen, die zu den grünen Gipfeln führen, verborgen vor allen außer einer Hand voll unseres Volkes. Unsere Seherinnen werden die Peri aufwecken und ihnen von Zestans Verrat berichten.«
Sie konnte spüren, wie der Wolf sie zum Kämpfen drängte, dass er den Kha’iida in die Berge folgen und alle Peri bis auf den Letzten töten wollte, um sicherzustellen, dass sie Arathea nie mehr bedrohten. Soweit sie wusste, hatten die Peri sich noch nie über die Grenzen dieses Landes hinaus ausgebreitet. Sie hier zu vernichten würde der Gefahr, die von ihnen ausging, ein für alle Mal ein Ende bereiten. »Wenn sie schlafen, solltet ihr es vielleicht besser dabei belassen. Es könnte außer Zestan noch andere geben, die es satthaben, auf Erlösung zu warten. Und was noch besser ist: Wenn sie schlafen, heißt das, dass sie verwundbar sind …«
»So wie du und deine Familie es waren?«, fragte Muhazil.
Für einen Moment kam es Talia so vor, als könnte sie die Hecke sehen, die sie umgab, als könnte sie die Rufe der Schwestern hören, die auf sie zuliefen. Sie atmete langsam aus und schob die Erinnerung aus ihrem Kopf. »Du hast recht«, sagte sie leise. »Zestans Verbrechen sind nur ihre. Ich entschuldige mich.«
»Sollten die Deev jemals zurückkehren, werden wir die Peri wieder brauchen.« Er warf einen Blick auf Zestan. »Ich gebe zu, dass ich es lieber sähe, wenn sie in ihren Bergen blieben, bis dieser Tag kommt.«
Talia hätte noch mehr gesagt, aber Faziya kam auf sie zugeeilt. Muhazil lächelte und verließ sie ohne ein weiteres Wort.
»Du bist verrückt!«, sagte Talia, als sie die Arme um Faziya schlang und sie hochhob. »Deine Bandagen sind noch blutig, und du reitest mitten in den Kampf?«
»Ich? Du hast doch die Wilde Jagd angegriffen! Du hast gegen eine Peri gekämpft!«
»Und gewonnen, oder?« Talia küsste sie.
Faziya erwiderte den Kuss mit Enthusiasmus, bevor sie sich freimachte. »Deine Hand! Was ist passiert?«
»Ich werd’s überleben.« Talia nahm ihren Arm. »Könntest du dich bitte um Schnee kümmern? Sie -«
Faziya war bereits unterwegs. Sie hockte sich hin und hielt die Handfläche vor Schnees Mund, um ihre Atmung zu überprüfen. Schnee schob die Hand zur Seite. Faziya machte ein
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