Rotkäppchens Rache
töten und unsere Krone an dich reißen wolltest. Sie hat dich eine Lügnerin genannt, nicht besser als die Deev.«
Talia warf Lakhim einen Blick zu; diese hob herausfordernd den Kopf und erwiderte ihn. »Ihr solltet lernen, dass man dem Tratsch alter Weiber nicht immer trauen kann.«
»Wieso hast du ihn umgebracht?«, wollte Mutal wissen.
Talia schloss die Augen und suchte nach Antworten, die für ein Kind von acht Jahren Sinn ergäben. Egal, was sie ihnen über ihren Vater erzählte, über das Gemetzel an ihrer eigenen Familie, es würde nichts an der Leere ändern. Es würde ihren Kummer um einen Mann, den sie nie gekannt hatten, nicht lindern. »Fragt mich wieder, wenn ihr beide zu Männern geworden seid«, sagte sie schließlich. »Dann werde ich euch die Wahrheit erzählen, wenn ihr sie hören wollt.«
»Deine Wahrheit!« Mahatal spuckte aus. »Du bist eine dreckige, verlogene -«
Mutal boxte seinen Bruder auf den Arm. »Halt die Klappe! Ich will es wissen!«
»Halt du doch die Klappe!«, giftete Mahatal, schwieg jedoch, als Mutal die Faust hob.
Talia verschwamm es vor Augen. Sie drehte sich weg und drängte die Erinnerungen an ihre Brüder zurück, die sich oft in genau demselben Ton gestritten hatten. Sie holte tief Luft, schob die Hände in die Ärmel ihres Gewands und zog zwei Messer heraus.
Auf ein erneutes Händeklatschen von Lakhim hin erschienen mit gezogenen Waffen Wachen in der Tür. Sie mussten direkt davor gewartet haben. Offenbar traute Lakhim Talia nicht mehr als diese ihr.
Talia kniete nieder und schnippte beide Messer so herum, dass sie sie an den Klingen hielt. Eins davon hielt sie Mutal hin. »Deine Attacke war langsam und unbeholfen. Wenn du angreifst, dann halte die Klinge flach, damit sie zwischen die Rippen gleitet.« Sie drehte die Klinge herum und demonstrierte es an einem imaginären Feind. »Bei deiner Größe sind die Nieren ein gutes Ziel. Die Innenseite des Oberschenkels ist auch gut: Ein Schnitt dort kann die Arterie durchtrennen.«
Mutal warf einen Blick auf seine Großmutter und wartete deren Zustimmung ab, bevor er das Messer mit der linken Hand entgegennahm. Seine Finger schlossen sich ums Heft. Er nagte an der Unterlippe und sah zu Talia hoch.
Talias Mund zuckte. »Versuch es, und ich werfe dich in diesen Teich!«
Danielle prustete.
»Was?«, fragte Talia.
»Ich mag die Sprache nicht verstehen, aber diesen Ton kenne ich!« Danielle lächelte. »Wer sagt, du hättest keine gute Mutter abgegeben?«
Talia verdrängte diesen Gedanken, als sie sich an Mahatal wandte und ihm das zweite Messer anbot. »Lass dich nicht von Angst aufhalten! Wenn dein Bruder angreift, wird die Aufmerksamkeit eures Feindes ihm gelten. Mach dir diese Ablenkung zunutze und schlag zu! Dreh die Klinge herum, wenn du sie herausziehst, um den Unterdruck zu lösen und eine größere Wunde zu erzeugen!«
Mahatal ignorierte das Messer. »Hast du so meinen Vater ermordet?«
Talia stand auf und steckte das Messer in die Scheide zurück. Sie konnte es ihm nicht verübeln, dass er sie hasste. Für die Zwillinge war ihr Vater zweifellos der Prinz aus den Geschichten gewesen, der Held, der Dornröschen aus der Hecke befreit hatte, nur um dann von ebendieser Prinzessin, die er gerettet hatte, verraten zu werden.
»Was steht ihr da rum?«, rief Mahatal den Wachen zu. »Sie hat meinen Vater umgebracht!«
»Mahatal, hör auf damit!«, sagte Lakhim.
Er ergriff den Magier am Arm. »Ullam, wenn Ihr meinen Vater je geliebt habt, dann werdet Ihr sie mit Eurer Magie niederstrecken!«
»Das reicht!« Lakhims dünne Finger packten Mahatal am Handgelenk. Sie zerrte ihn durch die Tür und übergab ihn einer der Wachen. »Sorgt dafür, dass sie auf ihrem Zimmer bleiben, bis ich komme!«
Mahatal stürmte davon, aber Mutal wandte sich wieder an Talia, während er das Messer in den Händen herumdrehte. »Du bist nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.« Mit diesen Worten folgte er seinem Bruder.
Zutiefst aufgewühlt schaute Talia ihnen hinterher.
»Mahatal ist ein hitziges Kind.« Lakhim stellte sich so, dass sie die Tür versperrte - die Botschaft war klar: Talias Zeit mit den Zwillingen war vorbei. »Mutal ist von Natur aus beherrscht, aber Mahatal brennt wie Elfenfeuer.«
»Wie ihre Onkel«, bemerkte Talia, womit sie Lakhim voller Absicht daran erinnerte, wessen Kinder sie waren. Lakhims Gesicht verfärbte sich dunkel.
Der Geruch nach dem nervösen Schweiß der Jungen hing noch lange, nachdem sie gegangen
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