Rousseau's Bekenntnisse
unziemlich ist, gegen einen Edelmann aufzutreten. Habe ich Ahnen, habe ich Ansprüche? Kann es einem Menschen gegenüber, der keine Pergamente aufzuweisen hat, Billigkeit geben? ... Wenn es ihm (dem Herrn von Montaigu) an Seelengröße fehlt, so ist sie ihm eben bei seinem Adel nicht nöthig; wenn er sich in der sittenlosesten Stadt den sittlich Verkommensten zugesellt, wenn er mit Schurken verkehrt, wenn er selbst einer ist, so haben doch seine Ahnen für seine äußere Ehre gesorgt.] und ich habe sie nie wieder besucht. Der Pater Castel nahm mich freundlicher auf, aber trotz seiner jesuitischen Schweifwedelei sah ich, daß er sich ziemlich getreu an einen der großen Grundsätze seiner Gesellschaft hielt, nämlich an den, den Schwächsten immer dem Mächtigsten aufzuopfern. Das lebhafte Gefühl der Gerechtigkeit meiner Sache und mein angeborener Stolz ließen mich diese Parteilichkeit nicht geduldig hinnehmen. Ich hörte auf, den Pater Castel und somit auch die Jesuiten zu besuchen, von denen ich ihn allein kannte. Übrigens flößte mir das tyrannische und intriguante Wesen seiner Ordensbrüder, das von der Gutherzigkeit des ehrlichen Pater Hemet so sehr abstach, einen solchen Widerwillen gegen einen Verkehr mit ihnen ein, daß ich seit jener Zeit keinen mehr von ihnen gesehen habe, wenn ich von dem Pater Berthier absehe, den ich zwei oder dreimal bei Herrn Dupin traf, mit welchem er angelegentlich an der Widerlegung Montesquieus arbeitete.
Beenden wir, um nicht mehr darauf zurückzukommen, was mir noch von Herrn Montaigu zu erzählen bleibt. Ich hatte ihm bei unsern Zwistigkeiten einmal gesagt, er hätte keinen Secretär, sondern einen Advokatenschreiber nöthig. Diesem Rathe folgte er und gab mir wirklich einen echten Advokaten, der ihn in weniger als einem Jahre um zwanzig- oder dreißigtausend Franken bestahl, zum Nachfolger. Er jagte ihn fort, ließ ihn ins Gefängnis sperren, jagte mit Lärm und Aufsehen seine Edelleute fort, gerieth überall in Zänkereien, mußte Beschimpfungen hinnehmen, die sich kein Knecht hätte gefallen lassen und mußte schließlich in Folge seiner Narrheiten abberufen werden. Man schickte ihn auf seine Güter, um seinen Kohl zu pflanzen. Wahrscheinlich war unter den Verweisen, die er vom Hofe bekam, sein Verhalten gegen mich nicht vergessen worden, wenigstens schickte er bald nach seiner Rückkunft seinen Haushofmeister zu mir, um meine Rechnung zu berichtigen und mir das Geld einzuhändigen. Es fehlte mir in diesem Augenblicke gerade an Geld; meine von Venedig herrührenden Schulden, Ehrenschulden, wenn es deren jemals gab, lagen mir schwer auf dem Herzen. Ich ergriff das sich mir darbietende Mittel, sie abzuzahlen, eben so wie den Schein des Zanetto Nani. Ich nahm, was man mir anbot; ich bezahlte alle meine Schulden und blieb wie vorher ohne einen Sou, aber von einer mir unerträglichen Last befreit. Seitdem habe ich von Herrn von Montaigu erst wieder bei seinem Tode reden hören, der öffentlich besprochen wurde. Möge Gott diesem armen Menschen den ewigen Frieden geben! Er war für den Beruf eines Gesandten gerade eben so geeignet, wie ich in meiner Kindheit zum Procurator geeignet gewesen wäre. Allein es hätte doch nur von ihm abgehangen, sich in seiner Stellung durch meine Dienstführung mit Ehren zu erhalten und mich schnell in dem Berufe zu befördern, zu welchem mich der Graf von Gouvon in meiner Jugend bestimmt hatte und zu dem ich mir erst in einem reiferen Alter aus eigenem Antriebe die Fähigkeit erworben hatte.
Die Gerechtigkeit und Fruchtlosigkeit meiner Klagen ließen in meiner Seele einen Keim von Entrüstung gegen unsere einfältigen bürgerlichen Einrichtungen zurück, bei denen das wahre öffentliche Wohl und die wahre Gerechtigkeit regelmäßig einer mir unerklärlichen, zwar scheinbaren Ordnung geopfert werden, die aber in Wirklichkeit der völlige Umsturz jeglicher Ordnung ist und der Unterdrückung des Schwachen und der Ungerechtigkeit des Starken nur die Bestätigung der öffentlichen Gewalt verleiht. Zweierlei hielt damals diesen Keim zurück, sich so zu entwickeln, wie er in der Folgezeit gethan hat; einmal der Umstand, daß es sich hierbei um mich handelte und daß das Privatinteresse, welches nie etwas Großes und Edles hervorgebracht hat, in meinem Herzen nicht jene göttliche Begeisterung entzünden konnte, die nur der Ausfluß der reinsten Liebe zum Gerechten und zum Schönen ist; und sodann der Reiz der Freundschaft, der durch die Macht eines
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