Rousseau's Bekenntnisse
Ursache und las ihm die Prosopopoe des Fabricius vor, zu der ich den ersten Entwurf unter einer Eiche geschrieben hatte. Er spornte mich an, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen, und mich um den Preis mitzubewerben. Ich that es und war von diesem Augenblicke an verloren. Mein ganzes übriges Leben mit allen meinen Leiden war die unvermeidliche Folge dieses Augenblickes der Verirrung.
[Fußnote: In seinem Briefe an Malesherbes fügt Rousseau dieser Erzählung noch weit auffallendere Umstände hinzu. Sie erregen die Vorstellung einer Eingebung und einer Anwandlung von Verzückung, von der sich, wie man behaupten kann, in den Jahrbüchern der Literatur kein ähnliches Beispiel findet. »Ich fühle meinen Kopf von einem rauschähnlichen Taumel ergriffen. Krampfhafte Zuckungen erfaßten mich... Da ich beim Gehen nicht mehr zu athmen vermag, sinke ich unter einen Baum am Wege hin und verharre dort eine halbe Stunde in einer solchen Erregung, daß ich erst beim Aufstehen bemerkte, wie die ganze Vorderseite meiner Weste von Thränen benetzt war, während ich mir gar nicht bewußt geworden, geweint zu haben.«
Diesem mit so beredten Worten beschriebenen exstatischen Zustande stellt Marmontel das gegenüber, was er die Thatsache in ihrer nackten Einfachheit nennt, so wie sie ihm nach seiner Erklärung Diderot selbst mitgetheilt hat. »Eines Tages,« (es sind Diderots Worte) »als wir zusammen spazieren gingen, sagte er mir, die Akademie von Dijon hätte eine interessante Preisfrage ausgestellt, und er fühlte Lust, sich an sie zu wagen. Diese Preisfrage lautete: ...›Wofür werden Sie sich entscheiden?‹ fragte ich ihn. – »Daß sie zur Veredelung der Sitten beigetragen haben.« – »Das ist die Eselsbrücke. Alle mittelmäßige Geister werden diesen Weg einschlagen. Der entgegengesetzte bietet der Philosophie und der Beredtsamkeit ein neues, reiches und fruchtbares Feld dar.« – »Sie haben Recht,« sagte er nach augenblicklichem Ueberlegen. »Ich werde Ihren Rath befolgen.«
Wäre die Anekdote wahr, so muß man gestehen, daß die Folgen für Rousseau's Namen und Werke furchtbar sein würden, da sie nichts weniger herbeiführen müßten, als seine Leser über die Grundsätze seiner Philosophie, ja selbst über seinen Charakter und über alles, was ihn vor seinen Zeitgenossen so hervorragend auszeichnet, vollkommen zu enttäuschen. Wie? Von jenem Augenblicke an sollte er sein ganzes Leben lang eine Larve getragen haben! Diese Annahme ist zu gräßlich, um nicht zu verdienen, daß man ihre Wahrscheinlichkeit ernstlich bestreitet.]
Meine Gefühle richteten sich mit der erstaunlichsten Schnelligkeit nach dem Schwunge meiner Gedanken. Alle meine kleinen Leidenschaften wurden von der Begeisterung für Wahrheit, Freiheit und Tugend erstickt; und noch wunderbarer ist, diese Gährung erhielt sich in meinem Herzen länger als vier oder fünf Jahre in einem so hohen Grade, wie es vielleicht in dem Herzen keines andren Menschen je vorgekommen ist.
Ich arbeitete diese Abhandlung in einer höchst sonderbaren Weise aus, die ich bei meinen andern Werken fast immer beibehalten habe. Ich widmete ihr die schlaflosen Stunden meiner Nächte. Ich überlegte im Bette mit geschlossenen Augen und wendete meine Perioden im Kopfe mit unglaublicher Mühe hin und her; wenn ich dann endlich mit ihnen zufrieden war, behielt ich sie so lange im Gedächtnisse, bis ich sie aufschreiben konnte. Aber während der Zeit des Aufstehens und Anziehens verlor ich alles wieder aus dem Gedächtnisse, und wenn ich mich vor mein Papier gesetzt hatte, fiel mir von all dem so mühsam Eingeprägten fast nichts mehr ein. Ich gerieth auf den Einfall, mir Frau Le Vasseur zum Secretär zu nehmen. Ich hatte sie mit ihrer Tochter und ihrem Manne in meiner Nähe untergebracht, und um mir einen Dienstboten zu ersparen, kam sie jeden Morgen, mir Feuer anzumachen und meine kleinen häuslichen Geschäfte zu besorgen. Bei ihrer Ankunft diktirte ich ihr von meinem Bette aus meine nächtliche Arbeit, und dieses Verfahren, dem ich lange treu blieb, hat mir bei meiner Vergeßlichkeit gute Dienste geleistet.
Nach Vollendung dieser Abhandlung zeigte ich sie Diderot, der mit ihr zufrieden war und mir einige Verbesserungen angab. Trotzdem mangelt es diesem schwungreichen und gewaltigen Werke völlig an Logik und Ordnung; unter allen, die aus meiner Feder geflossen sind, ist es im Folgern das schwächste und an Wohlklang und Harmonie das ärmste; aber mit welchem Talente man auch
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