Rousseau's Bekenntnisse
seinem Vorbilde Uhren zu machen. Unsere Hauptlust bestand darin, Papier zu besudeln, zu zeichnen, zu tuschen, zu illuminiren und Farben zu verklecksen. Ein italienischer Marktschreier, Namens Gamba-Corta, kam nach Genf; wir gingen einmal hin, um ihn zu sehen, und wollten darauf nicht mehr zu ihm gehen. Aber er hatte ein Puppenspiel, und wir fingen an Puppen zu machen; seine Puppen spielten komödienartige Stücke, und wir fertigten Komödien für die unsrigen an. Unkundig, wie wir die heisere Stimme des Polichinell hervorbringen sollten, suchten wir sie durch Kehllaute nachzuahmen, um diese wunderschönen Komödien spielen zu können, die unsere gutmüthigen armen Verwandten die Geduld hatten anzusehen und anzuhören. Aber als eines Tages mein Oheim Bernard vor der versammelten Familie eine sehr schöne, von ihm selbst verfaßte Predigt vorgelesen hatte, wandten wir den Komödien den Rücken und begannen Predigten zu schreiben. Ich gestehe, daß diese Einzelheiten nicht sehr unterhaltend sind; allein sie beweisen, wie vortrefflich unsere erste Erziehung geleitet sein mußte, daß wir, obgleich wir in so zartem Alter fast Herren unserer Zeit und unsrer selbst waren, uns so wenig versucht fühlten, damit Mißbrauch zu treiben. Wir hatten so wenig Bedürfnis, uns Spielgenossen zu verschaffen, daß wir selbst die Gelegenheit dazu unbenutzt ließen. Auf unseren Spaziergängen sahen wir ihren Spielen zu ohne das Verlangen, ja sogar ohne den Gedanken, daran Theil zu nehmen. Die Freundschaft erfüllte unsere Herzen so vollkommen, daß unser Zusammensein hinreichend war, um uns in den einfachsten Beschäftigungen die höchste Freude finden zu lassen.
Daß man uns unzertrennlich sah, zog die Aufmerksamkeit auf sich, um so mehr, als mein Vetter sehr groß und ich sehr klein war, so daß wir ein ziemlich drollig zusammengelesenes Pärchen bildeten. Seine lange hagere Gestalt, sein kleines bratapfelartiges Gesicht, sein sanftes Aussehen, sein lässiger Gang riefen den Spott der Kinder hervor. In der dortigen Volkssprache gab man ihm den Beinamen Barna Bredanna, und so oft wir ausgingen, hörten wir rings um uns her nichts als Barna Bredanna. Er erduldete dies ruhiger als ich. Ich ärgerte mich, ich wollte eine Prügelei anfangen; das war es gerade, was die kleinen Buben wünschten. Ich theilte Hiebe aus und bekam Hiebe. Mein armer Vetter stand mir nach besten Kräften bei; aber er war schwach; mit einem Faustschlage wurde er zu Boden gestreckt. Nun wurde ich wüthend. Obgleich ich indessen eine tüchtige Tracht Prügel bekam, so hatte man doch nicht mir, sondern Barna Bredanna zu Leibe gehen wollen, aber in Folge meiner nicht zu bändigenden Wuth nahm das Uebel so zu, daß wir nur noch während der Schulstunden auszugehen wagten, aus Furcht, von den Schülern verhöhnt und verfolgt zu werden.
Ich zeige mich bereits als Verteidiger der Unterdrückten. Um ein echter Paladin zu sein, fehlte mir nur eine Dame; ich hatte gleich ihrer zwei. Von Zeit zu Zeit ging ich meinen Vater in Nyon, einem Städtchen im Waadtlande, zu besuchen. Mein Vater war sehr beliebt, und auch auf seinen Sohn wurde dies Wohlwollen übertragen. Während der kurzen Zeit, in der ich mich bei ihm aufhielt, kam man mir überall freundlich entgegen. Namentlich eine Frau von Vulson überhäufte mich mit Liebkosungen, und um das Maß voll zu machen, nahm mich ihre Tochter als ihren Verehrer an. Man kann sich denken, was das zu sagen hat, ein Verehrer von elf Jahren für ein Mädchen von zweiundzwanzig. Aber alle diese Schelminnen haben eine Lust daran, kleine Puppen auf solche Weise vorzuschieben, um die großen dahinter zu verbergen, oder um sie durch die Darstellung eines Spieles, das sie so reizend zu machen wissen, anzulocken. Ich für meine Person erblickte zwischen ihr und mir kein Mißverhältniß und nahm die Sache ernst; ich gab mich ihr von ganzem Herzen oder vielmehr Kopfe hin, denn nur mit letzterem war ich verliebt, obgleich ich es bis zum Wahnsinn war und meine Leidenschaft, meine Erregtheit, meine Wuthausbrüche, Auftritte zum Todtlachen hervorriefen.
Ich kenne zwei Arten von sehr verschiedener und doch sehr wahrhafter Liebe, die fast nichts gemein haben, obgleich die eine wie die andere sehr heiß ist, und alle beide sich von der zärtlichen Freundschaft unterscheiden. Mein ganzes Leben lang bin ich zwischen diesen beiden so verschiedenartigen Liebesarten getheilt und sogar von beiden gleichzeitig erfüllt gewesen; denn zum Beispiel in der Zeit, von
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