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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Allein sie war eine geistreiche Frau, die sich auf die Menschen verstand und recht wohl einsah, daß in meinem Benehmen mehr Albernheit als Kälte lag.
    Endlich brachte sie es dahin, sich mir verständlich zu machen, und zwar nicht ohne Mühe. Wir hatten das Mittagsessen in Valence eingenommen und brachten nun nach unserer löblichen Gewohnheit den Rest des Tages daselbst zu. Wir waren außerhalb der Stadt in Saint-Jacques abgestiegen; ich werde mich immer dieses Gasthauses wie des Zimmers erinnern, welches Frau von Larnage in demselben bewohnte. Nach dem Essen wollte sie lustwandeln. Sie wußte, daß der Marquis nicht gern spazieren ging; deshalb war es ein Mittel, sich eine Unterredung unter vier Augen zu verschaffen, die sie zu benutzen entschlossen war, denn es war keine Zeit mehr zu verlieren, wollten wir noch Zeit übrig behalten, sie zu genießen. Wir gingen die Gräben entlang um die Stadt herum. Ich begann von neuem die ganze Litanei meiner Klagen, auf welche sie, meinen Arm, den sie hielt, bisweilen an ihr Herz drückend, mit einem so zärtlichen Tone antwortete, daß eine Dummheit wie die meinige dazu gehörte, um nicht zu begreifen, daß sie im vollen Ernste spräche. Köstlich war dabei, daß ich selbst außerordentlich gerührt war. Sie war, wie gesagt, liebenswürdig; die Liebe machte sie bezaubernd; sie verlieh ihr wieder den vollen Glanz der ersten Jugend und sie umstrickte mich mit ihren Liebkosungen mit einer solchen Gewandtheit, daß sie auch den erfahrensten Mann verführt haben würde. Ich gerieth also in große Verlegenheit; ich stand immer auf dem Punkte, mir Freiheiten herauszunehmen; aber die Furcht zu beleidigen oder zu mißfallen, die noch größere Angst verhöhnt, verlacht, aufgezogen zu werden, Stoff zu einer Tafelanekdote zu geben und von dem unbarmherzigen Marquis über meinen Unternehmungseist beglückwünscht zu werden, legten mir eine derartige Rückhaltung auf, daß ich mich über meine alberne Verschämtheit selber ärgerte und sie nicht zu überwinden im Stande war, obgleich ich sie mir zum Vorwurf machte. Ich war wie auf der Folter; ich konnte meine bisherigen schmachtenden Redensarten, deren ganze Lächerlichkeit auf einem so schönen Wege ich sehr wohl fühlte, nicht mehr über die Lippen bringen. Da ich nicht mehr wußte, welche Haltung ich annehmen noch was ich sagen sollte, schwieg ich; ich machte ein verdrießliches Gesicht, kurz ich that alles, was nöthig war, um mir die befürchtete Behandlung wirklich zuzuziehen. Glücklicherweise bewies sich Frau von Larnage menschlicher. Sie unterbrach plötzlich dieses Stillschweigen, indem sie einen Arm um meinen Hals schlang, und zugleich sprach ihr Mund auf dem meinigen zu deutlich, um mich in meinem Irrthume zu lassen. Die Entsendung konnte nicht rechtzeitiger eintreten. Ich wurde liebenswürdig, und es war Zeit. Sie hatte mich mit der Zuversicht erfüllt, deren Mangel mich fast stets gehindert hat, mich zu geben, wie ich bin. Nun that ich es. Nie haben meine Augen, meine Sinne, mein Herz und mein Mund so lebhaft geredet; nie habe ich mein Unrecht so vollkommen gesühnt; und hatte diese kleine Eroberung der Frau von Larnage Mühe gemacht, so hatte ich dafür Ursache zu glauben, daß sie sie nicht bereut hat.
    Wenn ich hundert Jahre lebte, würde ich mich nie ohne Vergnügen an diese bezaubernde Frau erinnern. Ich sage bezaubernd, obgleich sie weder jung noch schön war; da sie jedoch auch weder häßlich noch alt war, hatte sie nichts in ihrem Aeußern, was ihren Geist und ihre Anmuth gehindert hätte, sich geltend zu machen. Ganz im Gegensatz zu andern Frauen war das Gesicht an ihr am wenigsten frisch; und ich glaube, daß das aufgelegte Roth es ihr verdorben hatte. Sie hatte ihre Gründe, schwach und hingebend zu sein; es war das Mittel, ihren ganzen Werth zu erkennen zu geben. Man konnte sie sehen, ohne sie zu lieben, aber sie nicht besitzen, ohne sie anzubeten. Das scheint mir zu beweisen, daß sie mit ihrer Gunst nicht immer so verschwenderisch gewesen, wie sie gegen mich war. Ihre Liebe war zu schnell entstanden und war zu leidenschaftlich, um entschuldbar zu sein, aber sie war dabei eben so sehr dem Zuge ihres Herzens wie ihrer Sinnlichkeit gefolgt: und während der kurzen und köstlichen Zeit, die ich an ihrer Seite verlebte, hatte ich nach der Mäßigung, die sie mir auferlegte, Grund anzunehmen, daß sie, so sinnlich und wollüstig sie auch war, doch noch mehr meine Gesundheit als ihren Genuß im Auge hatte.
    Unser

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