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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Rechtlichkeit hoch schätzte, that man, als ob man seine Angelegenheit vergessen hätte. Dazu kam, daß die Behörden, die sich mit dem bald darauf zur Ausführung kommenden großen Plane trugen, die Bürgerschaft nicht vor der Zeit dadurch kopfscheu machen wollten, daß sie derselben ihre frühere Parteilichkeit in die Erinnerung zurückriefen.
    Ich fürchtete, man würde mir des Religionswechsels wegen Schwierigkeiten machen, was man jedoch nicht that. Die Genfer Gesetze sind in dieser Hinsicht weniger hart als die von Bern, wo jeder, der seinen Glauben ändert, nicht allein Heimatsrecht, sondern auch sein Vermögen verliert. Das meinige wurde mir also nicht streitig gemacht, war aber, wie sich zeigte, aus einem mir unbekannten Grunde sehr vermindert. Obgleich man von dem Tode meines Bruders ziemlich überzeugt war, hatte man doch keinen gerichtlichen Beweis dafür. Es fehlte mir an genügenden Rechtsansprüchen, um seinen Theil zu beanspruchen, und ich überließ ihn meinem Vater gern als Unterstützung, der auch, so lange er lebte, die Nutznießung davon hatte. Sobald die gerichtlichen Formalitäten beendet waren und ich mein Geld empfangen hatte, legte ich einen Theil davon in Büchern an und eilte, den Rest Mama zu Füßen zu legen. Unterwegs klopfte mir das Herz vor Lust, und der Augenblick, in welchem ich dieses Geld in Mama's Hände niederlegte, erfüllte mich mit tausendmal größerer Freude als jener, in welchem es den meinigen übergeben wurde. Sie nahm es mit jener Einfachheit schöner Seelen, die, da sie ohne Ueberwindung eben so handeln, auch nichts Bewunderungswürdiges darin finden. Dieses Geld wurde fast ganz für mich verwandt und zwar mit der nämlichen Einfachheit. Es würde genau dieselbe Verwendung gefunden haben, wäre es ihr von anderer Seite zugegangen.
    Meine Gesundheit war indessen noch immer nicht wieder hergestellt; ich schwand im Gegentheile sichtlich dahin; ich war blaß wie der Tod und mager wie ein Gerippe. Das Pulsiren in meinen Adern war furchtbar, das Herzklopfen schneller, ich litt unaufhörlich an Brustbeklemmungen, und meine Schwäche nahm endlich dergestalt zu, daß ich mich kaum noch zu bewegen vermochte. Ich konnte meine Schritte nicht beschleunigen, ohne zu ersticken, ich konnte mich nicht bücken, ohne schwindlig zu werden, ich konnte nicht die leiseste Last ausheben; ich war zu der für einen so unruhigen Menschen, wie ich bin, qualvollsten Unthätigkeit gezwungen. Sicherlich gesellten sich zu dem allen noch viele hypochondrische Zufälle. Die Hypochondrie ist die Krankheit glücklicher Leute, an ihr litt ich. Die Thränen, die ich oft ohne alle Ursache zum Weinen vergoß, das heftige Zusammenfahren beim Rauschen eines Baches oder bei dem Auffliegen eines Vogels, die ungleiche Gemüthsstimmung in der friedlichen Stimmung des glücklichsten Lebens, alles dies verrieth diese Langeweile des Wohlbefindens, bei welcher die Empfindlichkeit gleichsam in die wunderlichste Reizbarkeit ausartet. Wir sind so wenig zum irdischen Glücke geschaffen, daß notwendigerweise die Seele oder der Körper leiden muß, wenn sie nicht alle beide leiden, und daß der gesunde Zustand des einen dem andern fast immer zum Nachtheil gereicht. Als ich das Leben hätte genießen können, ließ es meine verfallende Maschine nicht zu, ohne daß man im Stande gewesen wäre, den eigentlichen Sitz meines Leidens anzugeben. Trotz des höheren Alters und sehr fühlbarer und schwerer Leiden scheint mein Körper späterhin wieder Kräfte gewonnen zu haben, um mein Unglück desto stärker zu empfinden; und jetzt, wo ich dies schreibe, gebrechlich und fast sechzigjährig, von allerlei Schmerzen gedrückt, fühle ich mehr Lebenskraft und Muth zum Leiden in mir, als ich in der Blüte meines Alters und im Schooße des wahrsten Glückes zum Genießen besaß.
    Um das Maß voll zu machen, hatte ich, nachdem ich ein wenig Physiologie in den Kreis meiner Lectüre hineingezogen, mich auf das Studium der Anatomie geworfen und mir dadurch einen Ueberblick über die Menge und Wirksamkeit der Theile, die meine Maschine bildeten, erworben. Zwanzigmal machte ich mich nun täglich darauf gefaßt, dies alles in Unordnung kommen zu fühlen. Ich staunte nicht etwa darüber, daß ich todtkrank wäre, sondern nur, daß ich noch immer leben könnte, und ich las nicht die Beschreibung einer einzigen Krankheit, ohne sie für die meinige zu halten. Ich bin vollkommen überzeugt, wäre ich nicht schon krank gewesen, würde ich es durch

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