Rousseau's Bekenntnisse
einem weißen Laken erblicken, so würde mich Furcht befallen. So malte mir denn meine durch das lange Schweigen erhitzte Einbildungskraft lauter Schreckbilder vor. Je mehr mir die Herausgabe meines letzten und besten Werkes am Herzen lag, desto mehr quälte ich mich ab, die Gründe des etwaigen Hindernisses aufzufinden, und da ich stets alles bis aufs Aeußerste trieb, so glaubte ich in dem Stillstand des Druckes die Unterdrückung des Buches zu sehen. Indem ich mir indessen weder den Grund noch die Art des Einschreitens gegen mein Werk vorstellen konnte, verharrte ich in der grausamsten Ungewißheit von der Welt. Ich schrieb Briefe über Briefe an Guy, Herrn von Malesherbes und Frau von Luxembourg, und da die Antworten nicht kamen, oder doch nicht kamen, wenn ich sie erwartete, so wurde ich höchst unruhig, ja fast wie wahnsinnig. Unglücklicher Weise vernahm ich um dieselbe Zeit, daß der Pater Griffet, ein Jesuit, vom »Emil« geredet und daraus sogar Stellen angeführt hatte. Augenblicklich fährt es mir wie ein Blitzstrahl durch den Kopf, und das ganze Geheimnis der Nichtswürdigkeit steht enthüllt vor mir da: ich sah ihr allmähliches Fortschreiten so klar, so unwiderleglich, als wäre es mir offenbart worden. Ich bildete mir ein, die Jesuiten hätten sich, wüthend über den verächtlichen Ton, in dem ich über ihre Schulen gesprochen, meines Werkes bemächtigt; sie wären es, die die Herausgabe hinderten; sie wollten, von ihrem Freunde Guérin über meinen gegenwärtigen Zustand unterrichtet und meinen nahen Tod, an dem ich nicht zweifelte, voraussehend, den Druck bis dahin verzögern in der Absicht, mein Werk zu verstümmeln und abzuändern und mir, um ihre Zwecke zu erreichen, fremde Ansichten unterzuschieben. Es ist erstaunlich, welch eine Menge Thatsachen und Umstände sich plötzlich in meinem Geiste nach diesem verrückten Gedanken umwandelten, um ihm einen Schein von Wahrscheinlichkeit zu geben. Was sage ich? Schein von Wahrscheinlichkeit? Nein, um seine augenscheinliche Gewißheit zu beweisen. Guérin war, wie ich wußte, vollständig in den Händen der Jesuiten. Ihnen schrieb ich alle die Freundschaftsdienste zu, die er mir erwiesen; ich redete mir vor, daß er mich auf ihren Antrieb zur Verhandlung mit Néaulme gedrängt, daß sie durch letzteren die ersten Bogen meines Werkes erhalten und in Folge dessen das Mittel gefunden hätten, den Druck bei Duchesne aufzuhalten und sich vielleicht meines Manuscripts zu bemächtigen, um nach Belieben daran zu feilen, bis mein Tod ihnen die Freiheit gab, es nach ihrer Weise entstellt herauszugeben. Trotz der erheuchelten Liebenswürdigkeit des Pater Berthier hatte ich stets gemerkt, daß mich die Jesuiten nicht liebten, nicht allein als einen Encyklopädisten, sondern weil meine Principien ihren Grundsätzen und ihrem Ansehen weit widerstrebender und gefährlicher waren als der Unglaube der übrigen Encyklopädisten, da sich der atheistische und der bigotte Fanatismus, die in ihrer gemeinsamen Unduldsamkeit einen Berührungspunkt haben, sogar verbinden können, wie sie es in China gethan haben und wie sie es gegen mich thun, während die vernünftige und sittliche Religion dadurch, daß sie jede menschliche Macht über die Gewissen aufhebt, den Trägern dieser Macht keinen Einfluß mehr läßt. Ich wußte, daß der Herr Kanzler den Jesuiten ebenfalls sehr befreundet war; ich fürchtete, der Sohn hätte sich, durch den Vater eingeschüchtert, gezwungen gesehen, ihnen das Werk, dem er Schutz gewährt hatte, preiszugeben. Die Wirkung davon glaubte ich sogar in den Hudeleien zu sehen, denen man mich in Bezug auf die beiden ersten Bände auszusetzen begann, bei denen man um nichts Auswechselblätter verlangte, während die beiden andern Bände, wie man sehr wohl wußte, voll so starker Dinge waren, daß sie einer gänzlichen Umarbeitung bedurft hätten, wenn man sie wie die beiden ersten censiren wollte. Ferner wußte ich, und Herr von Malesherbes sagte es mir selbst, daß der Abbé von Grave, den er mit der Überwachung dieser Ausgabe beauftragt hatte, noch ein weiterer Anhänger der Jesuiten war. Ueberall sah ich nur Jesuiten, ohne zu bedenken, daß sie am Vorabende ihrer Vernichtung und von ihrer eigenen Verteidigung vollständig in Anspruch genommen, anderes zu thun hatten, als sich wegen des Druckes eines Buches, in dem es sich gar nicht um sie handelte, etwas zu schaffen zu machen. Ich habe Unrecht zu sagen, ohne daran zu denken, denn ich dachte sehr wohl
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