Rousseau's Bekenntnisse
Absichten des französischen Hofes Bürgschaften hätte, die er mir zu verstehen geben wollte, wenn er sich auch nicht brieflich darüber offen erklären konnte.
Dies alles beruhigte mich theilweise. Da ich indessen diese Sendung französischer Truppen nicht begriff und vernünftigerweise nicht annehmen konnte, daß sie zum Schütze der corsikanischen Freiheit da wären, weil die Bewohner der Insel sehr wohl im Stande waren, sich allein gegen die Genueser zu vertheidigen, so konnte ich mich nicht völlig beruhigen, noch mich freudig an der mir vorgelegten Verfassungsarbeit betheiligen, bis ich genügende Beweise hätte, daß dies alles nicht ein bloses Spiel zu meiner Verhöhnung wäre. Mir wäre eine Zusammenkunft mit Herrn Buttafuoco sehr erwünscht gewesen; es war das einzige Mittel, von ihm die Aufklärungen zu erhalten, die ich bedurfte. Er ließ sie mich hoffen, und ich hoffte auf sie mit größter Ungeduld. Ich weiß nicht, ob er die Absicht wirklich gehabt hatte; aber wäre es der Fall gewesen, so hätte mich mein Unstern verhindert, die Gelegenheit zu benutzen.
Je mehr ich über das vorgeschlagene Unternehmen nachdachte, je weiter ich in der Prüfung der sich in meinen Händen befindlichen Aktenstücke vorrückte, desto mehr fühlte ich die Notwendigkeit, das Volk, für welches die Verfassung bestimmt war, sowie den Boden, auf dem es wohnte, und alle Verhältnisse, welchen eine solche Verfassung angepaßt werden mußte, aus der Nähe zu studieren. Ich begriff jeden Tag mehr, daß es mir unmöglich wäre, aus der Ferne alle zu meiner Leitung nöthigen Aufklärungen zu erlangen. Ich schrieb darüber an Buttafuoco: er sah es selbst ein; und wenn ich auch noch nicht völlig fest entschlossen war, mich nach Corsika zu begeben, so beschäftigte ich mich doch viel mit den Mitteln, diese Reise zu machen. Ich sprach davon mit Herrn Dastier, der unter Herrn von Maillebois früher auf dieser Insel gedient hatte, und sie deshalb kennen mußte. Er unterließ nichts, um mich von diesem Vorsatze abzubringen; und ich gestehe, daß das gräßliche Gemälde, welches er mir von den Corsen und ihrem Lande entwarf, meinen Wunsch, in ihrer Mitte zu leben, gewaltig abkühlte.
Als jedoch die Verfolgungen, in Motiers mich daran denken ließen, die Schweiz zu verlassen, erwachte in mir von neuem dieser Wunsch in der Hoffnung, endlich bei diesen Insulanern die Ruhe zu finden, die man mir nirgends lassen wollte. Nur eins machte mir diese Reise bedenklich: meine Untauglichkeit zu dem thätigen Leben und mein Widerwille gegen dasselbe, zu dem ich in Folge dessen verurtheilt sein würde. Ich war dazu geboren, in der Einsamkeit mit Muße nachzudenken, aber nicht um unter Menschen zu reden, zu handeln, Geschäfte abzuschließen. Die Natur, die mir zu jenem Talent verliehen, hatte es mir zu diesem versagt. Gleichwohl sah ich ein, daß ich, ohne mich unmittelbar an den öffentlichen Angelegenheiten zu betheiligen, von meiner Ankunft in Corsika an genöthigt sein würde, mich der Aufregung des Volkes zu überlassen und sehr häufig mit seinen Führern zu berathschlagen. Sogar der Zweck meiner Reise erheischte, daß ich mich nicht in die Einsamkeit zurückzog, sondern vielmehr mitten im Volke die Aufklärungen suchte, die ich nöthig hatte. Es war klar, daß ich nicht mehr über mich selbst würde verfügen können, daß ich, wider meinen Willen in einen Wirbel mit hineingerissen, für den ich nicht geschaffen war, ein meinem Geschmacke völlig widerstrebendes Leben führen und mich nur in ungünstigem Lichte zeigen würde. Ich sah voraus, daß ich die Ansicht von meiner Fähigkeit, welche meine Werke den Corsen einzuflößen vermocht, durch meine Gegenwart schwerlich aufrecht erhalten könnte, daß ich mich bei ihnen um alle Achtung bringen und zu ihrem wie zu meinem Schaden das in mich gesetzte Vertrauen verlieren würde, ohne das ich das von mir erwartete Werk nicht auszuführen im Stande war. Ich hatte die Ueberzeugung, daß ich, wenn ich so aus meinem Kreise herausträte, ihnen unnütz werden und mich unglücklich machen würde.
Gequält, herumgeschleudert von Stürmen jeglicher Art, ermattet von Reisen und Verfolgungen seit mehreren Jahren, fühlte ich lebhaft das Bedürfnis nach Ruhe, die mir meine barbarischen Feinde mit Schadenfreude raubten. Mehr als je seufzte ich nach dieser erquickenden Muße, nach dieser süßen Ruhe Leibes wie der Seele, nach der mein ganzes Verlangen ging, und auf die mein von den Hirngespinsten der Liebe
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