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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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waren. Um diese Zeit würde Carlie auf Daddys Schoß sitzen, und er würde sie mit liebesdösigem Blick betrachten. Ich würde mich im Schneidersitz an die Wohnzimmerwand lehnen und mit der Müdigkeit ringen. Ich fragte mich, ob Daddy sie ebenso sehr vermisste wie ich in diesem Moment. Dann dachte ich an Stella und ihren verdammten Schinkenauflauf und ihre eng zusammengegürtete Taille.
    »Ich hasse Stella«, sagte ich.
    »Lohnt sich nicht«, murmelte Dottie schläfrig.
    »Wie würde es dir denn gefallen, wenn die schlimmste Feindin deiner Mutter hier auftauchen würde und Bert schöne Augen machen und zuckersüß tun, und du weißt, sie ist eine Hexe?«
    Da wurde Dottie wieder etwas wacher. »Ha!«, sagte sie. »Das ist ja komisch. Glaubst du wirklich, jemand würde hier aufkreuzen und sich an Bert heranmachen?« In der Tat war Bert nicht gerade ein Hingucker. Seine Ohren standen so sehr ab, dass er aussah wie ein Taxi, das mit offenen Türen fuhr.
    Mir wurde schwer ums Herz. »Ich vermisse Carlie so sehr«, sagte ich.
    »Ich wünschte, ich könnte dir irgendwas sagen, damit es dir besser geht«, sagte Dottie, und dann schlief sie ein. Ich schmiegte den Kopf an ihren warmen, flanelligen Rücken und hörte, wie die Erwachsenen riefen: »Frohes neues Jahr!«
    »Frohes neues Jahr, Carlie«, flüsterte ich in die Dunkelheit. Bevor ich mich kopfüber ins Elend stürzte, beschloss ich, mich drüben in eine Ecke zu setzen und den Erwachsenen zuzuhören. Ich stand auf, zog mich an und ging ins Wohnzimmer. Als ich hereinkam, hörten alle auf zu reden und sahen mich an, als müssten sie in der Hölle schmoren, wenn sie sich in meiner Gegenwart amüsierten.
    »Alles in Ordnung, Süße?«, fragte Madeline Butts.
    Ich nickte. »Dottie schnarcht.« Alle lachten.
    Bert schüttelte den Kopf. »Sie hat schon bei ihrer Geburt geschnarcht.«
    »Woher willst du das wissen? Du warst doch gar nicht dabei«, sagte Madeline.
    »Ich hab sie bis ins Wartezimmer gehört«, sagte Bert. Wieder lachten alle, und dann vergaßen sie mich. Madeline unterhielt sich weiter mit Ida, während Bert, Ray und Sam in die Küche gingen, um noch einen Happen zu essen und sich ein neues Bier zu holen.
    Da bemerkte ich, dass Bud noch da war; er saß in einem Plüschsessel in der Ecke des Zimmers und verfolgte alles mit seinen neugierigen dunklen Augen, ein leises Lächeln auf den Lippen.
    Er stand auf und sagte: »Komm, wir machen uns aus dem Staub.« Ich folgte ihm in Madelines Atelier, wo die Farben still und nüchtern in ihren Kästen lagen. Bud setzte sich rittlings auf Madelines Malstuhl, sodass seine langen, dünnen Beine an den Seiten abstanden wie gebogene Pfeifenreiniger.
    Ich ließ mich ihm gegenüber auf die Kissen eines alten, weichen Sofas fallen, das an der Wand stand.
    »Was Glen wohl gerade macht?«, sagte ich. Germaine, seine Mutter, hatte darauf bestanden, dass er über Silvester nach Long Reach kam und sich mit ihr eine Variete-Show in der Oper ansah.
    »Er war nicht besonders scharf auf die Veranstaltung.«
    »Meinst du, Germaine musste ihn zwingen, einen Anzug anzuziehen?«
    »Wahrscheinlich hat sie ihm Geld gegeben.«
    Ich dachte an Germaine, die aussah wie ein flinker, zorniger Affe. Bei der Vorstellung, wie Ray und Germaine Glen gemacht hatten, schlug ich die Hand vor den Mund.
    »Was ist?«, fragte Bud.
    »Nichts«, sagte ich. Wir schwiegen. Ich stellte mir vor, wie Daddy und Carlie mich gemacht hatten. Das kam mir logischer vor, denn ich hatte oft gesehen, wie sie tanzten, lachten, sich berührten, sich küssten, sich stritten und wieder versöhnten. Ich musste wohl ganz in diese Bilder versunken sein, denn plötzlich sagte Bud: »Alles in Ordnung?«
    »Ja, klar«, erwiderte ich, zu schnell. Love nie tender… Ihre Füße auf seinen Schuhen. Love nie sweet… Seine Hand auf ihrer Hüfte. Und ich zwischen ihnen.
    »Muss ganz schön schwer sein«, sagte Bud.
    Mir schossen Tränen in die Augen. »Ja, ist es. Manchmal würde ich am liebsten schreien. Ich will nicht mit Daddy darüber reden, weil er selbst so durch den Wind ist. Ich will Grand nicht dauernd was vorheulen, das hat sie schon oft genug gehört. Dottie weiß nicht, was sie sagen soll. Meistens weiß ich selber nicht, was ich sagen soll. Und ich vermisse sie. Ich vermisse sie schrecklich, Bud.«
    Beim zweiten »vermisse sie« war er bei mir und legte den Arm um mich. Ich heulte Rotz und Wasser in sein Flanellhemd. Er hielt mich fest, bis ich mich ausgeweint hatte. Dann blieben

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