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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Callan Rogers
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wie wir jetzt? Wiscasset, Thomaston, Rockland. Camden.
    Eine Stadt, die sich an die Wellen und Windungen der Küste schmiegte. Schneespitzige Berge zu unserer Linken, katzenbucklige Inseln, die ihre Zehen in das weite, leuchtend blaue Meer tauchten, zu unserer Rechten. Kleine Geschäfte säumten die kurvige Straße. Hatten Carlie und Patty hier jedes Jahr Rast gemacht? War das ein fester Bestandteil ihres gemeinsamen Wochenendes gewesen? In welche Geschäfte wären sie wohl gegangen? Was hätten sie sich gerne gekauft?
    »Lasst uns mal anhalten«, sagte ich, doch Bud meinte: »Lieber nicht, Florine. Wir haben noch nicht mal die halbe Strecke geschafft. Kannst du mal auf die Karte gucken?«
    Am liebsten hätte ich mich mit ihm angelegt, aber er ging ein ziemliches Risiko ein, indem er die Schule schwänzte, mit seinem neuen Auto so eine weite Strecke fuhr und seiner Freundin nichts von alldem sagte.
    Ich stellte mir vor, wie Susan durch die Schulflure ging und nach Bud Ausschau hielt, wie sie mit besorgtem Blick in ihren Klassenraum eilte und ihr kleiner Po in einem der kurzen Röcke, die sie so gerne trug, hin und her wippte. Sie hatte so einen fröhlichen kleinen Po, keck und übermütig wie die Schwanzspitze einer verspielten Katze. »Wird Susan dich nicht vermissen?«, fragte ich Bud. »Was ist, wenn sie in The Point anruft und fragt, wo du steckst?«
    »Sie ist heute nicht in der Schule«, sagte Bud. »Sie ist mit ihrer Familie nach Connecticut gefahren. Irgendjemand aus ihrer Verwandtschaft heiratet morgen. Sie haben mich gefragt, ob ich mitkommen wollte. Aber ich hatte keine Lust.«
    »Jesses, seht euch den verdammten Kasten da an«, sagte Glen und deutete aus seinem Fenster auf eine dunkelgrüne Villa hinter einer Steinmauer. Das Haus thronte auf einem mit Blausternchen übersäten Hang. Nadelspitze Türme hielten den Himmel davon ab, zu nah an das verschachtelte Giebeldach zu kommen. Die Fenster waren mit dicken Eisengittern verbarrikadiert.
    »Das könnte glatt aus Dark Shadows stammen«, sagte Dottie. »Ob’s da auch Vampire gibt?«
    »Der Kasten muss ein Heidengeld gekostet haben«, sagte Bud.
    »Bestimmt ‘n paar Millionen«, sagte Dottie.
    »Wohnen möchte ich da aber nicht«, sagte ich. »Da drinnen verläuft man sich doch.«
    »Ich hätte nichts dagegen«, sagte Bud. »Bei uns zu Hause ist es so eng, dass man sich ständig auf die Füße tritt.«
    »Aber ich finde, deine Mutter hat es richtig schön eingerichtet«, sagte ich.
    »Das hilft auch nicht viel, wenn Sam sauer ist und Dampf ablässt«, sagte Bud. »Da wird’s schwierig, ihm aus dem Weg zu gehen.«
    »Bert ist harmlos«, sagte Dottie. »Wenn er rumbrüllt, schaut Evie ihn nur mit großen Kulleraugen an, und ich verschwinde einfach. Aber vor Madeline muss man sich in Acht nehmen.«
    »Ray hab ich mittlerweile im Griff«, sagte Glen. »Der brüllt nicht mehr groß rum. Germaine macht’s eher auf die leise Tour. Wenn sie mir tief in die Augen sieht und >Pass mal auf, Glen< sagt, weiß ich, es gibt Ärger.«
    »Carlie hat mich nie angebrüllt«, sagte ich. Wir hatten das Gruselschloss hinter uns gelassen und fuhren an endlosen, gleichmäßigen Baumreihen entlang. »Daddy hat manchmal gebrüllt, als ich noch bei ihm war. Und bei Grand würde ich mich gar nicht trauen, sie wütend zu machen.«
    »Nein, ich auch nicht«, sagte Bud. »Wo sie doch so einen guten Draht zu Jesus hat und so.«
    »Sie ist die Einzige, die mich Dorothea nennen darf, ohne sich Ärger einzuhandeln«, sagte Dottie.
    »Sie ist meine Traumfrau«, sagte Glen. »Wenn wir im gleichen Alter wären, würd ich mein Glück versuchen.«
    Wir fuhren weiter Richtung Belfast.
    Die Bäume wurden weniger, und kurz darauf gab es rechts und links nur noch Felsen mit abgestorbenem Gras dazwischen. Ich erinnerte mich, dass wir in der fünften Klasse von dem Gletscher gehört hatten, der über Maine hinweggerollt war und diese Wüste aus Steinen und vernarbtem Land zurückgelassen hatte. Plötzlich ging mir auf, dass diese Felsen noch jahrhundertelang dort liegen würden, während alles, was ich dachte, fühlte oder tat, zusammengefegt und weggeworfen werden würde wie die Steinchen, die ich mit den Schuhen in Grands Küche schleppte. Es würde vollkommen bedeutungslos sein, dass Carlie verschwunden war, dass ich gekommen war, um sie zu suchen, oder dass Daddy mit einer anderen Frau schlief. Kälte durchlief mich wie ein Fluss aus Eiswürfeln.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Bud. »Soll ich

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