Rubinrotes Herz, eisblaue See
den Duschvorhang zurück und drehte den Wasserhahn auf.
»Welches Bett Carlie wohl genommen hat?«, sagte ich. Zu Hause hatte sie auf der linken Seite des Bettes geschlafen. Daddy hatte die Türseite genommen, weil er als Erster aufstehen musste.
»Keine Ahnung«, sagte Dottie. Das Zimmermädchen drehte den Wasserhahn wieder zu und kam mit einem kleinen Mülleimer ins Zimmer. »Wenn ihr euch auch das Bad ansehen wollt, nur zu. Aber beeilt euch. Ich muss sehen, dass ich hier fertig werde.«
Wir spähten hinein. Winzig. Direkt vor uns das Klo, darüber ein Regal mit Handtüchern. Rechts davon eine kombinierte Wanne und Dusche mit einem weißen Vorhang. Auf der anderen Seite ein Waschbecken mit weißer Ablage und einem Spiegel darüber.
»Da kann man sich ja kaum rühren«, sagte Dottie.
»Entschuldigung«, sagte das Zimmermädchen hinter uns.
Wir zuckten beide zusammen. Sie hatte einen Stapel frischer, flauschiger Handtücher auf dem Arm. »Geht mich ja nichts an, aber warum wollt ihr mit eurer Bowlingmannschaft ausgerechnet hierher kommen? Wir haben gar keine Bowlingbahn.«
»Hab ich gesagt, dass wir bowlen wollen?«, entgegnete Dottie. »Wir wollen bloß mal ausspannen.«
»Wie alt seid ihr überhaupt?«, fragte das Zimmermädchen. »Ihr seht aus, als ob ihr in die Schule gehört.«
»Wir haben frei«, sagte Dottie.
»Komm, lass uns gehen.« Ich drehte mich um und verließ das Zimmer, Dottie im Gefolge.
Draußen schauten wir zurück Richtung Stadt. Diesen Weg war Carlie eines Morgens entlanggegangen und nicht zurückgekommen.
Das Zimmermädchen kam aus dem Haus und ging zu ihrem Putzwagen. Ich raffte meinen Mut zusammen und sagte: »Kann ich Sie was fragen?«
Sie verlagerte ihr Gewicht auf die eine Hüfte, bereit, uns so lange zuzuhören, wie es nötig war, um uns loszuwerden.
»Meine Mutter hat hier früher mal gewohnt«, sagte ich. »Sie kam jeden Sommer mit einer Freundin her.«
»Das tun ‘ne Menge Leute«, sagte das Zimmermädchen.
»Sie ist vor fünf Jahren verschwunden, während sie hier war. Sie ist nie wiederaufgetaucht.«
Die dunklen Augen des Zimmermädchens weiteten sich, und sie richtete sich auf. »Carlie Gilham.« Sie musterte mich eingehender. »Du bist ihre Tochter. Ich kannte Carlie. War ‘ne prima Frau. Sie und ihre Freundin Patty, nicht? Sind manchmal in die Stadt gekommen, wenn sie hier waren, und haben mit uns im Frenchman’s Folly was getrunken. Tat mir echt leid, was damals passiert ist. War das Thema hier in der Stadt. Großer Gott, und du bist ihre Tochter. Nicht zu fassen.«
Mir stiegen die Tränen in die Augen. Sie hatte Carlie gekannt. Sie hatte sie gemocht. Die Leute hatten sich Sorgen gemacht. Die ganze Stadt hatte sich Sorgen gemacht. Sie hatten sie nicht gefunden, aber sie hatten sich Sorgen um sie gemacht.
»Ich bin Jorie Rieh«, sagte das Zimmermädchen. »Eigentlich Marjorie, aber das Mar hab ich als junges Mädchen fallen lassen. Wie heißt du? Carlie hat’s mir gesagt, aber das ist schon Jahre her.«
Ich nannte ihr meinen Namen und stellte ihr Dottie vor. Wir tauschten die üblichen Floskeln.
»Du siehst aus wie dein Daddy«, sagte Jorie. »Gut aussehender Mann. Fiel auf, als er hier war, um sie zu suchen. Groß und kräftig. Tat mir so leid, der arme Kerl. Ist danach noch dreimal hier gewesen, immer so um diese Zeit. Hat jedes Mal einen Kaffee mit mir getrunken. Und dann ist er in die Stadt gegangen. Wollte versuchen, das Ganze zu verstehen, hat er gesagt. Genau wie du jetzt. Wie geht’s ihm? Ich hab ihn lange nicht mehr gesehen.«
»Ihm geht’s gut«, sagte ich. In meinem Kopf wirbelte alles, als ich hörte, dass Daddy hierhergekommen war, allein, um sie zu suchen. Wusste Stella davon? Meine Güte, redete überhaupt noch irgendwer mit irgendwem?
»Ich bin mit meinen Freunden raufgekommen«, sagte ich. »Ich wollte einfach mal sehen, wo sie zuletzt war.«
»Klar, das verstehe ich«, sagte Jorie. »Lass mich mal überlegen. Hat sich nicht viel verändert. Das da ist der Weg in die Stadt. Carlie war oft in dem Buchladen hinten am Ende der Straße. Hat gern Krimis gelesen. Und in Grundys Kleiderladen, diese Straße runter, ungefähr auf halber Höhe. Und im Lard Bücket - frag mich nicht, wieso der so heißt. Das ist so ein Kramladen mit Touristenzeug, manches davon ganz witzig. Aber meistens saß sie hier am Pool, und abends sind sie und Patty in die Stadt gegangen, zum Essen und auf ein paar Drinks. Ein paar Einkaufsbummel und ab und zu mal eine
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