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Rueckkehr nach Glenmara

Titel: Rueckkehr nach Glenmara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri Sonja Hauser
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mich verfahren.«
    »Wo warst du?«
    Kate versuchte, es zu erklären.
    Bernie schwieg eine Weile. »Den Ort kenne ich«, sagte sie schließlich. »Da geht niemand hin.«
    »Warum nicht?«
    »Nur so eine Geschichte.« Bernie hielt den Blick auf die Straße gerichtet.
    »Bitte erzähl sie mir. Ich muss es wissen.«
    Bernie seufzte. »Das ist das Dorf aus der großen Hungersnot, das ich gleich nach deiner Ankunft hier erwähnt habe. Dort sind damals alle entweder verhungert oder an Krankheiten gestorben. Gegen Ende hat eine junge, sehr kranke Frau ein Kind bekommen, um das sich niemand kümmern konnte. Als endlich Hilfe eintraf, waren Kind und Mutter bereits tot. Im gefrorenen Boden konnten sie nicht begraben werden. Außerdem hatten alle keine Kraft mehr und zu viel Angst. Angeblich liegen ihre Gebeine immer noch hier, und sie suchen einander wehklagend in der Dunkelheit.« Sie schwieg.
    »Was sonst noch?«
    »Ich sollte es nicht erzählen.«
    »Wenn du es nicht erzählst, erfahre ich es von jemand anders.«

    »Es heißt, nur wer selbst einen solchen Verlust erlitten habe, könne die Geister klagen hören.«
     
    Damals hatten Bernie und John das Zimmer, ein Bettchen, ein Mobile mit Vögelchen, eine Borte mit Vergissmeinnicht entlang den Wänden und einen Wickeltisch vorbereitet. Als die Wehen dann einsetzten, wusste sie, dass es zu früh war. An jenem strahlenden Morgen buk sie gerade einen Waldbeerenkuchen. »Es geht los.«
    »Zu früh.«
    »Ich weiß.«
    »Wahrscheinlich falscher Alarm.«
    »Ja.«
    Das redeten sie sich ein, während sie ins Krankenhaus in der Stadt hasteten. Dazu hatte die Hebamme ihnen geraten, als sie nicht mehr weiterwusste. So schnell war John noch nie gefahren.
    Kahle Zimmer, Vorhänge, Linoleum, Metallinstrumente, ernste Gesichter. Sie steckten sie in ein Hemdchen und baten sie, auf dem Untersuchungsstuhl Platz zu nehmen. An ihrem Zeh befand sich ein Hühnerauge. Warum ihr das auffiel, wusste sie nicht. Jedenfalls war das das Letzte, woran sie sich erinnerte, als sie nach einer Spritze in den Arm ein taubes Gefühl bekam. Aus der Ferne klangen noch Stimmen herüber, unter ihnen die von John. Sie baten ihn zu gehen, doch er weigerte sich.
    Sie darf’s nicht sehen , sagte eine Schwester.
    John versuchte, sie zu schützen. Sie verriet ihm nie, dass sie durch den Drogennebel einen Blick auf ihre kleine, vollständig entwickelte Tochter mit der fahlblauen Haut erhascht
hatte. Sie ließ ihn in dem Glauben, dass es ihm gelungen war, sie vor dem Anblick zu bewahren.
    Ein Mädchen, Saoirse, das nun in Kates Alter gewesen wäre, hätte es überlebt.
     
    Bernie hatte Kate fast Saoirse genannt, als sie sie auf dem Weg fand.
    »Ich fürchte, an diesem Ort ist zu viel Geschichte konzentriert«, sagte Bernie, als sie später bei Tee mit einem Schuss Brandy vor dem Kamin saßen. »Das Land scheint uns unsere schmerzliche Vergangenheit nicht vergessen zu lassen. Die Erinnerung ist nicht unbedingt etwas Schlechtes und bildet einen wichtigen Teil unseres Lebens. Das Leid formt uns und macht uns bewusst, wie stark wir sein können.«
    »Ich fühle mich alles andere als stark.« Kate klapperte beim Reden immer noch mit den Zähnen.
    »Doch.« Bernie fragte sich, ob sie sie ins Krankenhaus hätte bringen sollen. »Stärker als du ahnst. Das habe ich gleich gespürt.«
    »Als wir uns kennengelernt haben, war ich doch völlig durchnässt.« Kate zog die Wolldecke enger um den Leib. Bernie hatte sie eingewickelt wie ein Neugeborenes.
    »Trotzdem hab ich’s gespürt.« Bernie schob ein Holzscheit, das drohte, aus dem Kamin zu fallen, mit dem Schürhaken zurück.
    Kate sah in die Flammen. »Die Stimme klang so real.«
    »Dort kommen die Lebenden den Toten besonders nah«, erklärte Bernie. »Es ist einer jener Orte, an denen Vergangenheit und Gegenwart einander berühren, heißt es.«

    »Und was sollte ich aus der Erfahrung lernen? Ich sollte doch etwas daraus lernen, oder?«
    Bernie wartete eine Weile mit der Antwort. »Möglicherweise, dass du den Schmerz zulassen und dir selbst vergeben sollst, so gut es geht. Dass wir geliebte Menschen nicht auf ewig verlieren, dass sie uns immer begleiten, wenn auch auf andere Weise.« Das galt für Saoirse. Bernie hatte gemeint, die Luft würde irgendwann von den Rufen spielender Kinder erfüllt sein. Und sie war es, von denen der Kinder anderer Leute. Sie liebte sie wie ihre eigenen, jedes einzelne davon. Nur abends, wenn sie durchs Fenster, in dem sich das letzte Licht des

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