Rückkehr zum Mars
solltest jetzt ein wenig schlafen.«
»Aber wenn eins der Flugzeuge sich losreißt …«
»Was können wir dagegen tun?«, fragte er sanft. »Wir haben sie auf der vom Wind abgewandten Seite der Kuppel abgestellt. Wenn sie sich losreißen, krachen sie uns zumindest nicht hier herein.«
Sie nickte, aber ihr Blick klebte weiterhin an den Bildschirmen.
»Stacy, muss ich dir befehlen , in dein Quartier zu gehen?«
Deschurowa drehte sich um und sah ihn an. »Jemand sollte Wache halten. Nur für den Fall des Falles.«
»Okay«, sagte Jamie. »Ich mache das. Geh schlafen.«
»Nein. Ich könnte sowieso nicht schlafen. Ich bleibe hier.«
Jamie zog sich den anderen Stuhl heran und setzte sich neben sie. »Stacy … wir brauchen dich morgen. Dann musst du frisch und munter sein, ausgeruht und voll leistungsfähig.«
Sie wandte kurz den Blick von ihm ab. Dann tippte sie mit dem Finger auf die Digitaluhr über dem Hauptbildschirm und sagte: »Es ist gleich Viertel nach neun. Ich bleibe bis zwei Uhr hier. Dann kannst du die Schicht bis um sechs übernehmen. Auf diese Weise kriegt jeder von uns vier Stunden Schlaf. Okay?«
»Ein Uhr«, sagte Jamie.
Mit derselben ernsten Miene wie immer fragte sie: »Habt ihr dann auch genug Zeit, Vijay und du?«
Jamie merkte, wie ihm das Kinn herunterfiel.
Deschurowa lachte. »Geh schon. Stell deinen Wecker auf eins. Dann kannst du mich ablösen.«
Jamie stand von dem Stuhl auf und dachte: Stacy könnte die Missionsleitung übernehmen. Sie würde ihre Sache gut machen.
Vijay saß am Tisch in der Messe, als Jamie das Kommunikationszentrum verließ. Er marschierte schnurstracks auf sie zu, und sie blickte zu ihm auf. Aus ihren großen, seelenvollen Augen sprach … was? Nervosität? Einsamkeit? Angst?
Und was ist in meinen Augen zu lesen, fragte sich Jamie, als er ihr die Hand hinstreckte. Sie ergriff sie, erhob sich von ihrem Stuhl und ging wortlos mit ihm zu seiner Kabine. Was mache ich, fragte sich Jamie. Das ist keine Liebe. Das ist keiner jener romantischen Momente, über welche die Dichter schreiben. Es ist pure Not; wir brauchen einander. Wir haben Angst vor diesem Sturm, Angst, weil wir so weit von zu Hause, von der Sicherheit entfernt sind. Wir brauchen den Trost eines anderen Menschen, jemanden, an dem wir uns festhalten können, der uns festhält.
Sie sprachen kaum ein Wort, als sie sich auszogen und in Jamies schmales Bett gingen. Dann schliefen sie so leidenschaftlich miteinander, als hätten der Zorn und die Macht des Sturms von ihnen Besitz ergriffen. Das erste Mal, vor zehn Nächten, hatten sie sich alle Mühe gegeben, so leise wie möglich zu sein. Nicht in dieser Nacht. Nicht bei dem Heulen des Windes draußen. Jetzt lagen sie träge und erschöpft da, die Gedanken drifteten müßig dahin, alle Barrieren waren niedergerissen, alle Furien beruhigt.
Soll ich ihr von Trumball erzählen?, fragte er sich. Der Gedanke hatte nichts Dringliches. Er stieg einfach träumerisch in sein Bewusstsein empor wie ein Flüstern, das sich durch einen Drogennebel kämpft.
Jamie küsste Vijay auf die nackte Schulter; sie murmelte schläfrig und schmiegte sich enger an ihn. Ihr Körper war warm und weich, und als er in den Schlaf driftete, wusste er, dass er sich ohne sie leer und allein fühlen würde. Und Angst hätte.
Dann stach die kalte, harte Realität auf ihn ein. Du kannst nicht von Liebe reden. Du kannst nicht einmal daran denken. Nicht hier. Nicht unter diesen Bedingungen. Diesen Fehler hast du letztes Mal schon gemacht, und es hat dir und Joanna nichts als Schmerzen eingebracht. Du kannst nicht erwarten, dass Vijay sich auf der Basis dessen, was wir hier machen, für ihr ganzes Leben an dich bindet.
Und das heißt, hörte er sich argumentieren, dass du sie nicht mit deinem Problem mit Trumball belasten kannst. Es ist dein Problem, nicht ihres. Du musst den richtigen Weg für dich selbst finden, allein.
Jamie drehte sich auf der Liege ein wenig und schaute zu den roten Leuchtziffern der Digitaluhr hinüber. Schlaf ein bisschen. Es wird verdammt bald ein Uhr früh sein.
Der Wind draußen heulte lauter. Für Jamie klang er wie das wilde Gelächter von Cojote, dem Listenreichen.
Es war fast Mitternacht, als Stacy zu ihrem Stuhl im Kommunikationszentrum zurückkehrte und eine Tasse heißen Tee auf die Konsole neben dem Hauptbildschirm stellte. Draußen kreischte der Wind, ein dünnes, gequältes Heulen wie das ferne Geschrei von Seelen in der Holle. Methodisch begann sie,
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