Rückkehr zum Mars
ziemlich ausgeglichen.«
Er stand neben ihr auf und bemerkte erneut, dass sie ihm kaum bis zu den Schultern reichte. »Magst du ausgeglichene Männer?«
Sie legte den Kopf schief, als würde sie nachdenken. »Eigentlich finde ich die Verrückten interessanter.«
»Ist das eine persönliche oder berufliche Einstellung?«
»Ein bisschen von beidem, glaube ich.«
Ohne zu überlegen, ohne auch nur zu wissen, was er tun würde, legte Jamie ihr die Arme um die Taille, zog sie an sich und küsste sie.
Vijay verweilte ein paar atemlose Momente in seinen Armen, dann löste sie sich sanft von ihm.
»Ich finde, wir sollten nicht …«
»Bin ich dir etwa nicht verrückt genug?«
Sie trat einen Schritt von ihm zurück. »Das ist es nicht, Jamie. Es liegt nicht an dir, nicht daran, wer oder was du bist. Es liegt an … an diesem Ort hier. Wir sind hundert Millionen Kilometer von zu Hause entfernt, verdammt noch mal. Was wir hier tun, was wir empfinden … das sind nicht wirklich wir. Es sind Einsamkeit und Angst.«
»Ich bin nicht einsam, und ich habe keine Angst«, sagte Jamie leise. »Mir gefällt es hier.«
»Dann bist du wirklich der Verrückteste von uns allen«, flüsterte Vijay. Sie drehte sich um und floh aus dem Kommunikationszentrum.
Jamie stand allein da und dachte: Unter ihren Scherzen und Späßen hat sie Angst. Sie hat Angst vor dem Mars. Sie hat Angst, dass ihre Empfindungen nicht echt sind, dass sie nur eine Reaktion auf unsere Anwesenheit hier sind.
Er fragte sich, ob sie Dex gegenüber wohl auch so empfand. Empfindet sie Dex gegenüber genauso?
ZWEITES BUCH
DIE ERSTEN EXKURSIONEN
Das Volk kam durch drei Welten herauf und ließ sich auf der vierten, der blauen Welt nieder. Es war von einer dieser Welten nach der anderen vertrieben worden, weil seine Angehörigen ständig miteinander im Streit lagen und Ehebruch begingen. Auf den früheren Welten hatte es keine anderen seinesgleichen gefunden, aber auf der blauen Welt fand es welche.
Das Volk vergaß seine früheren Welten und bewahrte sich nur die Sagen, die man sich von den Alten erzählte. Aber die anderen, die Fremden, sie blickten voller Staunen zu den anderen Welten. Sie wollten sie sehen, wollten auf ihnen herumlaufen. Sie wussten nicht, dass Cojote mit ihnen kommen und versuchen würde, sie allesamt zu vernichten.
ABEND: SOL 45
Was für eine langweilige Party, dachte Jamie. Aber was kann man schon erwarten, wenn einem zehn oder zwanzig Millionen Fremde dabei zusehen?
Am Mittag nach Ortszeit hatten sie den Rekord der ersten Expedition gebrochen, die Feier jedoch bis nach dem Abendessen verschoben. Dex hatte den Zeitpunkt für ihre ›Party‹ in Absprache mit den PR-Leuten in Tarawa und New York festgelegt – als ob er nicht schon genug zu tun hätte, schimpfte Jamie in sich hinein.
Dex hatte also nun die Virtual-Reality-Reservekameras wie ein zusätzliches Augenpaar am Kopf und die genoppten Datenhandschuhe an den Händen, während die acht Forscher mit Fruchtsaft, Kaffee und Tee feierlich auf den neuen marsianischen Ausdauerrekord anstießen.
In New York war es früher Nachmittag. Roger Newell saß hinter seinem breiten, ausladenden, tipptopp aufgeräumten Schreibtisch und nahm an der steifen kleinen Feier auf dem Mars teil. Seinen Informationen zufolge wurde sie zu über zehn Millionen VR-Geräten übertragen, aber sein Network würde in den Abendnachrichten Ausschnitte für all jene zeigen, die sich keinen solchen Apparat leisten konnten.
»Nicht mehr als eine Minute«, murmelte Newell im Innern des VR-Helms vor sich hin. »Höchstens dreißig Sekunden.« Himmelherrgott, was für ein Haufen von Amateuren, dachte er. Diese Wissenschaftler bringen es fertig, selbst eine Party langweilig wirken zu lassen.
»Und hier«, sagte Dex Trumball, »haben wir Dr. James Waterman, unseren Missionsleiter. Er war auch bei der ersten Expedition dabei.«
Als Dex so vor ihm stand und ihn mit diesem zusätzlichen elektronischen Augenpaar am Kopf anstarrte, hatte Jamie auf einmal das Gefühl, keinen Ton herausbringen zu können. Er hatte dem Programm, das Dex mit den PR-Leuten ausgearbeitet hatte, keine Aufmerksamkeit geschenkt. Aber er wusste, dass er etwas sagen musste.
»Wir freuen uns sehr, hier auf dem Mars zu sein und mehr über diesen Planeten zu erfahren«, faselte er, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Unbewusst hob er den Becher, aus dem er getrunken hatte, und erklärte: »Natürlich gibt es bei uns keine
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