Rücksichtslos
hier noch kündigen. Die Miete muss ich wahrscheinlich noch für die kommenden drei Monate bezahlen.“
„ Darum kümmern wir uns. Sie sollen sich voll und ganz auf ihr Kind konzentrieren.“
„ Aber meine Ausbildung würde ich gern abschließen.“
„ Das … das ist kein Problem.“
Der letzte Satz war ein wenig zögernd über Frau Kowatz ’ Lippen gekommen, sodass Kira sie etwas skeptisch ansah. Daraufhin nahm die Frau ihre Hände und versicherte:
„ Das ist überhaupt kein Problem! Es ist schließlich wichtig, dass Sie Ihr Kind allein versorgen können.“
Kira nickte erleichtert. Dann klingelte ihr Handy. Sie erkannte Kevins Nummer und drückte ihn weg. Der Anruf erleichterte ihr die Entscheidung. Kira fürchtete um ihr Leben und um das des Ungeborenen.
„ Kann ich gleich mitkommen?“
„ Selbstverständlich. Packen Sie ein, was Sie brauchen, und was Sie vergessen haben, bekommen Sie von uns.“
„ Kommen wir noch einmal hierher?“
„ Um … ?“, Frau Kowatz ließ den Satz in der Luft hängen.
„ Um den Rest abzuholen.“
„ Aber natürlich“, versicherte sie rasch. „Wir können alles, was sie mitnehmen möchten, bei uns zwischenlagern.“
Kira sprang auf, plötzlich von einer unbändigen Energie erfasst. Sie trank den Rest Wasser aus ihrem Glas und spülte noch schnell ab. Anschließend packte sie ihre Kleider in zwei Koffer. In einen dritten und in ein paar Stofftaschen wan derten ihre Kosmetika, ein alter Plüschhase sowie ein Bild ihrer Eltern. Viel besaß sie nicht. Die Wohnung wurde möbliert vermietet, und ihr Geschirr würde sie später holen. Sie folgte Frau Kowatz zu dem schwarzen Auto, einem Audi. Die Scheiben waren komplett verdunkelt. Als sie Platz nahm, stellte sie fest, dass sich zwischen Rück- und Vorderreihe eine Glasscheibe befand. Das irritierte sie zunächst, doch Frau Kowatz erklärte, dass es sich um das Privatfahrzeug des Gönners handelte, der bei Fahrten seine Ruhe haben wollte. Kira sank erschöpft auf den Rücksitz. Alle Anspannung war mit einem Mal von ihr abgefallen. Frau Kowatz nahm auf dem Beifahrersitz Platz, dann fuhr das Auto los. Der Fahrer, ein breitschultriger Mann mit kahlrasiertem Kopf, würdigte sie keines Blickes, was ihr durchaus recht war. Er steuerte das Auto sicher durch die Straßen. Kira fühlte sich erleichtert, diese Entscheidung getroffen zu haben. Sie schloss die Augen und streichelte sanft über ihren noch flachen Bauch. Nun wird alles gut. Mit einem Mal fühlte sie sich so müde, dass sie außerstande war, die Augen nochmals zu öffnen, und schlief ein.
*
Katharina Bergen schlenderte die Zeil, die große Frankfurter Einkaufsmeile, entlang. Auf der Suche nach einem passenden Weih nachtsgeschenk für ihren Lebensgefährten Philipp starrte sie missmutig in die Schaufensterauslagen. Die feuchtkalte Luft an diesem Samstagmorgen hatte sich bereits einen Weg durch ihren Steppmantel gebahnt. Ihre langen hellblonden, von einzelnen dunkleren Strähnen durchzogenen Haare wurden durch einen kalten Windstoß verwirbelt. Fröstelnd zog sie ihren Wollschal enger um den schlanken Hals. Was k önnte sie ihm bloß schenken? Ihr Blick fiel auf die Bilder ausstellung eines Fotografen, und ihr Gesicht erhellte sich. Das ist es! Wenig später verließ sie lächelnd den Laden und steuerte die nächste U-Bahn-Station an, um nach Hause zu fahren. Vor vier Monaten war sie zu Philipp gezogen. Seither hatte das Wort daheim eine völlig neue Bedeutung für sie erhalten. Wenn sie an die dramatischen Umstände vor eineinhalb Jahren zurückdachte, unter denen sie sich kennen und lieben gelernt hatten, lief ihr noch heute ein kalter Schauer über den Rücken.
Als sie die Treppe zu Philipps Haus hochging, musste sie lachen. Sie tat es schon wieder. Er regte sich immer auf, wenn sie das Haus als seines bezeichnete. „Wir wohnen beide hier, und nach der Hochzeit wird die Hälfte auf dich übertragen. Also gehört es uns“, erwiderte er jedes Mal. In einem halben Jahr würde es soweit sein.
Nachdem sie die Eingangstür hinter sich geschlossen und Mantel und Schuhe ausgezogen hatte, ging sie ins große Wohnzimmer. Geschirrklappern wies ihr den Weg zu Philipp. Sie spähte durch den Türschlitz. Ihr wurde ganz warm ums Herz, als sie den großen, schlanken dunkelhaarigen Mann dort stehen sah, der eben einen Salat zubereitete. In dem Moment drehte er sich mit strahlendem Gesicht um. Sie ging rasch auf ihn zu, wurde sofort an seine Brust gezogen und
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