Rücksichtslos
Frauenhaus. Sie haben mich vorhin angerufen, weil Sie Hilfe benötigen?“
Der Satz hing in der Luft, und Kira brachte zunächst kein Wort heraus. Sie wägte kurz das Für und Wider ab. Dann bat sie Frau Kowatz in ihre kleine Wohnung.
„ Ja. Ich habe Sie angerufen, weil ich mir nicht mehr zu helfen weiß. Ihre Nummer hat mir eine Bekannte gegeben.“
Die beiden standen noch immer im Vorraum der Einzim mer wohnung. Kira schloss die Wohnungstür. Ihre kleine zierliche Hand, die zu ihrem feingliedrigen Körperbau passte, umklammerte noch immer den Türgriff. Unsicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, atmete sie tief durch und fuhr sich nervös durch das kurze, widerspenstige rote Haar. Ihre Besucherin, die zunächst abwartend reagiert hatte, begann mit ruhiger Stimme Fragen zu stellen.
„ Wie kann ich Ihnen helfen? Was sind Ihre Probleme? Sie machten am Telefon vorhin einige Andeutungen, dass Sie ein Kind erwarten und ihr Freund nicht mit der Schwangerschaft ein verstanden ist?“
„ Ja.“ Kira wand sich innerlich. Sie hasste es, wenn sie andere um Hilfe bitten musste. Aber diesmal ging es nicht nur um sie, sondern auch um das kleine Wesen, das in ihr heranwuchs. Sie knetete nervös ihre Finger und bat Frau Kowatz schließlich ins Zimmer. An der einen Wand stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Das Einzimmerappartement war zwar klein, aber gemütlich und ordentlich eingerichtet.
„ Nehmen Sie bitte Platz. Darf ich Ihnen etwas zu Trinken anbieten?“
„ Gern, wenn Sie etwas mittrinken“, antwortete Frau Kowatz und setzte sich. Dann blickte sie Kira ernst an und wartete.
Nach einigen Minuten, die Kira wie eine Ewigkeit vorkamen, stieß sie hervor: „Ich bin schwanger. In der vierzehnten Woche. Und mein Freund, besser gesagt mein Exfreund, will, dass ich das Kind abtreibe.“ Eigentlich war ihre Schwangerschaft schon weiter vorangeschritten, aber das ging vorerst niemanden etwas an. Kira hatte ihren Zustand einige Wochen verheimlicht, da sie Kevins Reaktion geahnt hatte.
„ Aber Sie haben sich für das Kind entschieden“, erwiderte Frau Kowatz.
„ Ja.“ Mehr sagte sie zunächst nicht. Ihr Gegenüber wartete ab.
„ Kevin droht mir damit, mich umzubringen, wenn ich das Kind behalte. Deshalb habe ich mit ihm Schluss gemacht. Das Kind kann doch nichts dafür, dass wir nicht aufgepasst haben. Aber er verlangt trotzdem, dass ich das Kind abtreibe.“ Ihre Finger spielten nervös mit der Tischdecke.
„ Warum will er das Kind nicht?“
„ Weil er Angst hat, dass ich ihn auf Unterhalt verklage. Pah. Bei ihm ist doch nichts zu holen.“ Innerlich zunehmend angespannt kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. „Ich habe sogar behauptet, dass das Kind nicht von ihm sei. Dann hat er mir eine runtergehauen, dass mir heute noch der Kiefer wehtut und mich als Hure beschimpft.“
„ Aber?“
„ Geglaubt hat er es mir nicht. Er würde jemanden kennen, der das Problem beseitigen könne. Daraufhin habe ich ihn rausgeworfen.“ Naja. Sie hatte ihn gebeten zu gehen und versprochen, seinen Vorschlag zu überdenken.
Kira schniefte und Irene Kowatz umfasste ihre Hände. Diese vertrauensvolle Geste brachte bei ihr das Fass zum Überlaufen. Sie spürte, wie sich Tränen in ihren Augen ansammelten, und schon kullerten diese nass über ihre Wangen.
„ Und … vorgestern … ist er dann … hier aufgetaucht … und hat mich … verprügelt. Ich … habe … mich … gerade noch … ins Bad … in Sicherheit bringen … können.“
Kira kramte in ihrer Stoffhose nach einem Taschentuch und putzte sich geräuschvoll die Nase. Frau Kowatz tätschelte ihre Hand.
„ Und aus Ihrer Familie kann Ihnen niemand helfen?“, fragte sie leise.
„ Die! Die kümmern sich doch einen Dreck um mich!“ Vielleicht übertrieb sie damit ein wenig, aber ihre Eltern anzurufen würde bedeuten, den Fehler, sprich Kevin, einzugestehen.
Kira erinnerte sich zurück. Es war kurz nach ihrem acht zehnten Geburtstag gewesen, als sie mit ein paar Arbeits kolleginnen in der Frankfurter Innenstadt unterwegs war. In einer dieser kleinen Diskotheken hatte sie Kevin das erste Mal gesehen. Und sich sofort in ihn verliebt. Dass er sie überhaupt eines Blickes würdigte, verwunderte sie damals sehr. War er doch von einer regelrechten Mädchentraube umgeben. Er sah einfach perfekt aus. Mit seinen dunklen Haaren, die ein wenig zu lang und lässig nach hinten gekämmt waren. Mit seinem durchtrainierten Körper überragte er die ihn
Weitere Kostenlose Bücher