Ruf der Dämmerung (German Edition)
Schließlich war es keine Vollzeitbeschäftigung, den meist schlafenden Kevin zu beaufsichtigen. Also half sie Patrick und Shawna beim Einsetzen von Zaunpfosten und hörte sich ihre alten Streitereien an. Patrick wurde für seine Mitarbeit ordentlich bezahlt. Shawna bekam wie üblich keinen Cent, was Patrick ihr immer wieder vorhielt. »Und wehe, du setzt dich dann noch auf einen dieser wilden Gäule! Ich warne dich, Shawna, dann spreche ich nie wieder ein Wort mit dir!«
»Ich auch nicht!«, rutschte es Viola heraus. »Das heißt, ich … ich pass da auf sie auf, Patrick! Ich lass nicht zu, dass sie sich in Gefahr bringt.«
Shawna lächelte. »Ihr seid irgendwie süß, ihr zwei«, bemerkte sie dann und war mutig genug, Patrick ein winziges Küsschen auf die Wange zu drücken.
Sie arbeiteten am Freitag bis zum Dunkelwerden, danach lud Patrick Shawna und Viola zuerst ins Burger, dann in den Pub ein. Das fand Viola nun wieder rührend. Bestimmt wären Patrick und Shawna lieber allein gewesen, mochten sie aber nicht bei Ainné und Bill hängen lassen. Die O’Kelleys waren aufgekratzt, freuten sich auf die Jagd und unterhielten ihre Helfer schon den ganzen Tag lang mit haarsträubenden Geschichten über Wildpferdefang. Sollte Alan sich das anhören, der hatte schließlich in diese Familie hineingeheiratet!
Viola hatte es inzwischen aufgegeben, herauszufinden, was er an Ainné fand, aber sie brachte seiner blinden Verliebtheit mehr Toleranz entgegen. Ainné mochte der restlichen Welt wie eine Hexe erscheinen, aber für Alan war sie offenbar die Erfüllung all seiner Träume. Viola zwang sich, das gelassen zu sehen. Sie selbst hatte schließlich ein Kelpie geliebt. Hatte geliebt? Für die Vergangenheitsform schlug ihr Herz eigentlich zu heftig.
Schließlich fuhr Patrick sie nach Hause und zeigte fasziniert zum See, als sie das Bootshaus passierten. »Guck mal … da sind die Pferde … Tatsächlich, die gleichen wie im Sommer – und noch ein paar mehr. Aber das sind keine Gebirgsponys …« Patrick flüsterte, als könnte er die Pferde vertreiben.
Viola starrte angestrengt ins Mondlicht. Vier Pferde, alles Schimmel in verschiedenen Schattierungen. Sie meinte, Ahis beagnama unter ihnen zu erkennen, und zitterte. Sie musste sich zusammennehmen. Patrick durfte nicht merken, wie sehr der Anblick sie erregte. Schließlich hatte sie sich bisher nie für Pferde interessiert. »Shawna meint, sie wären teilweise recht zahm«, sagte Viola und zwang sich zur Ruhe. Sie hatten Shawna am Lovely View abgesetzt, aber Patrick wohnte wieder in Ahis Wohnwagen. »Womöglich sind sie irgendwo entlaufen. Bill sollte das herausfinden, bevor er sie mit zum Markt nimmt.«
Patrick lachte. »Bill handelt mit Pferden, Viola! Wenn eins von den Viechern da ein Namensschildchen trägt, dann ist er der Erste, der es abreißt! Hilfst du mir gerade noch mit den Sachen, Vio?«
Patrick hatte ein ganzes Sammelsurium an Kabeln und Geräten mitgebracht, um seinen Wohnwagen vielleicht doch mal an die Elektrizitätsversorgung anzuschließen. Außerdem hatte er sich in Roundwood mit Lebensmitteln eingedeckt. Viola half ihm, das Zeug in den Wohnwagen zu schleppen. Dabei sah sie Ahis Bilder an den Wänden und das Herz tat ihr weh.
»Hörst du noch was von deinem komischen – hm – Dänen?«, erkundigte sich Patrick.
Viola schluckte. »Nein. Nichts mehr. Es ist … es ist aus …«
Patrick strich ihr tröstend über die Schulter. »Tut mir leid«, meinte er freundlich. »Aber andererseits war ich auch erleichtert, als Shawna es mir gesagt hat. Ich weiß, du warst total verliebt in ihn, aber irgendwas stimmte nicht mit dem Typen …«
»Ali hat mir nie was getan!«, sagte Viola patzig.
Patrick nickte. »Ich weiß. Shawna hat ihn auch gern gehabt. Aber trotzdem – es ist einfach besser, dass er weg ist!«
Du wirst ihn morgen jagen, dachte Viola.
21
Bill O’Kelley und seine mehr oder weniger freiwilligen Helfer brauchten noch den halben Samstag, um den Corral fertigzustellen. Dann aber stand die Falle versteckt zwischen den Bäumen im Wäldchen. Die Pferde würden den Zaun kaum sehen, vor allem, da sie aus dem Sonnenlicht in den Schatten der Bäume treten würden. Das Wetter meinte es an diesem Frühlingswochenende nämlich außerordentlich gut mit Bill: Es war den ganzen Tag sonnig und Ainné schleppte Kevin folglich wieder im Kinderwagen mit. Viola passte erneut auf ihn auf und begann dabei fast, ihn zu mögen. Wenn er gerade nicht schrie, war
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