Ruf der Dämmerung (German Edition)
sie an die Stunden, die sie mit Ahi in dem Caravan verbracht hatte. Sie hatten angeschmiegt aneinandergelegen und den Melodien des Tages oder der Nacht gelauscht. Für den Sänger des Sees verschmolz jeder Alltagston – das Rauschen des Windes in den Bäumen, der Gesang der Vögel, das Plätschern des Baches und selbst Ainnés zänkische Stimme, die nach Alan oder Viola rief – zu einem Lied, und verbunden mit Ahi hatte Viola daran teilgehabt. Shawna und Patrick küssten sich jetzt wohl eher zu den sanften Klängen einer Kuschelrock-CD. Viola versuchte, sich damit zu trösten, dass dies nicht vergleichbar war. Aber dafür war es betörend normal. Sie hätte alles dafür gegeben, noch einmal von Ahi umarmt und geküsst zu werden – zu welcher Musik auch immer!
Schließlich wandte sie sich widerstrebend zum Haus, vor dem inzwischen ein großer und sicher teurer Geländewagen parkte. Mit Pferdehandel schien man durchaus Geld zu verdienen. Viola war jetzt fast etwas gespannt auf Paddy Malone, aber als sie eintrat, brauchte sie nur ins Gesicht ihres Vaters zu sehen, um Shawnas Einschätzung bestätigt zu finden. Alan brachte eben eine Kanne Kaffee aus der Küche in den Wohnraum, aus dem laute Stimmen in breitestem irischen Dialekt drangen. Viola verstand nicht alles, was da gesprochen wurde, aber die Neugierde verging ihr auch gleich, als sie die Besucher ansah. Paddy Malone war rotgesichtig und vierschrötig, ähnlich wie sein Freund Bill, aber deutlich jünger und größer, ein Bär von einem Mann. Allerdings ein Bär mit Bierbauch. Seine Söhne – offenbar Zwillinge – waren ebenso breit und riesig, aber noch nicht gar so fett. Dennoch wirkten ihre Gesichter bereits feist und die runde Form ihrer Köpfe wurde noch dadurch betont, dass sie ihr rotes Haar stoppelkurz rasiert trugen. Die irische Variante des Skinheads, wozu auch die schweren Stiefel passten. Lederkluft trugen die vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alten Jungen allerdings nicht. Dafür Jeans und weite, abgetragene Hemden.
Beide grinsten anzüglich, als Viola in den Raum trat, und sie überprüfte unwillkürlich, ob ihr Rollkragenpullover nicht vielleicht heruntergerutscht war oder sich unversehens aufgelöst hatte. Die Kerle stierten sie an, als sei sie halb nackt! Viola wünschte sich weite Trainingshosen statt ihrer engen Jeans – oder noch besser eine Burka!
Einer der Zwillinge leckte sich die Lippen. Sprechen schienen sie nicht zu können, das übernahm der Vater. »He, ist das die Stiefenkelin, Bill? Alle Achtung, die hätt ich mir auch ins Haus genommen! Da wird man wieder jung, was Alter!« Paddy Malone lachte dröhnend und schlug sich auf die Schenkel, als habe er den Witz des Jahres gerissen. »Gib mir darauf ’n Schnaps, Billy. Aber nich’ für euch, Jungs, wenn ihr bei der Lady landen wollt, müsst ihr noch ’n bisschen nüchtern bleiben.« Er wandte sich an seine Sprösslinge, die inzwischen ebenso gierig auf die Whiskeyflasche wie auf Viola starrten.
»Ich … muss, glaub ich, grad mit dem Hund raus …«, murmelte Viola und machte ein paar Schritte rückwärts. Wer wusste, was die Typen taten, wenn man ihnen den Rücken zudrehte? Verglichen mit den Malone-Zwillingen erschienen Viola selbst Hank und Mike wie sensible Gentlemen …
Guinness war zum Glück immer für eine Ausrede gut und fand gar nichts dabei, nach dem halben Tag draußen noch mal auf Tour zu gehen. Viola verzog sich mit ihm in den Laden und stibitzte eine Packung Kekse und eine Flasche Cola. Nach dem arbeitsreichen Tag war sie hungrig und dachte unglücklich an den Kartoffelsalat, den sie gestern in weiser Voraussicht zubereitet hatte, um nach der Arbeit etwas Genießbares zwischen die Zähne zu bekommen. Der würde jetzt in den Mägen von Paddy und seinen Horrorsöhnen landen …
Guinness stupste sie, woraufhin sie die Kekse bereitwillig mit ihm teilte. Ob sie einfach hierblieb? Es gab reichlich Zeitschriften im Laden und sogar ein paar Taschenbücher – sie würde sich nicht langweilen. Aber irgendwie ging es Viola wie Shawna. Sie mochte das Spektakel verabscheuen, aber sie würde es sich auch um keinen Preis der Welt entgehen lassen! Zumal sie wusste, mit wem Bill und seine Freunde sich hier anlegten. Etwas lag in der Luft – auch wenn Viola es nicht benennen konnte.
Tatsächlich gestaltete sich das Einfangen der Wildpferde dann erstaunlich unspektakulär. Die Herde stand auf dem Grasland am See wie fast jeden Abend – und Viola erkannte mit eisigem
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