Ruf der Dämmerung (German Edition)
gesprochen …«
Unter tröstlichem Zureden führte sie Viola zunächst ins Bad, schleppte sie unter die heiße Dusche und brachte sie dann in ihr Zimmer. »Ich weiß ja nicht, ob das jetzt gesund ist«, überlegte sie, als sie dann mit einer Teekanne und Bills Whiskeyflasche zurückkam, »aber es wird dich schon nicht umbringen … Ach komm, Vio, so schlimm kann’s einfach nicht sein … Du musst die Kette jetzt nicht abnehmen … Bestimmt kommt er morgen wieder …«
Viola ließ die Kette mit dem Amethysten schluchzend auf ihr Nachttischchen gleiten. Sie brauchte keinen Schutz mehr – und keine Erinnerungen. Ganz sicher würde sie niemals ein Kelpie reiten …
Schließlich trank sie den Tee in kleinen Schlucken und überließ sich dann Shawnas tröstender Stimme. Die Freundin blieb bei ihr, bis sie einschlief. Und vielleicht war dieser furchtbare Tag ja wirklich nur ein böser Traum gewesen.
Ahi kam am nächsten Tag natürlich nicht wieder, aber Alan und Ainné waren da, und Violas Dad zeigte Verständnis. Es gab viele aufmunternde Worte zum Thema Liebeskummer und Viola durfte auch am Montag und Dienstag zu Hause bleiben. Inzwischen hatte Alan mit Dr. Lehan telefoniert und fuhr Viola am Dienstagnachmittag in dessen Praxis. Sie fühlte sich immer noch scheußlich, aber der Arzt war ganz zufrieden.
»Du siehst zwar aus, als trügest du das Leid der ganzen Welt«, neckte er sie, »aber deine Werte sind deutlich besser als Samstag. Wir machen jetzt noch einen Bluttest, auch wenn ich nicht glaube, dass dir was Ernstes fehlt. Außer dem Jungen natürlich, aber das gibt sich! Und so gut scheint er dir nicht getan zu haben, nach dem, was dein Vater mir erzählt hat …«
Ihr Dad hatte ihren Gewichtsverlust und ihre Blässe also auch bemerkt und Dr. Lehan gegenüber erwähnt. Viola äußerte sich nicht dazu. Sie lebte im Moment wie unter einer Glasglocke, die obendrein mit Watte ausgepolstert war. Sie wollte nicht denken, durfte nicht denken. Wenn sie sich vorstellte, dass sie niemals mehr Ahis Hände berühren, niemals mehr seine Gedanken teilen, sein Lachen hören und seine Lippen auf den ihren spüren sollte, würde sie verrückt werden!
Auch die Aufregung in der Schule perlte zunächst an ihr ab, aber irgendwann musste sie sich der Wirklichkeit natürlich wieder stellen. Ihre Wattewelt wich schließlich Zorn – auf Katja, die Ahi gemahnt hatte, die Beziehung zu beenden, und vor allem natürlich auf Mike und Hank. Ein paar Tage lang erging sie sich in wilden Fantasien, in denen sie die beiden den Kelpies zutrieb, um dann irgendwann ihre Leichen im See zu finden. So schwierig konnte das nicht sein, bestimmt waren die beiden dumm und draufgängerisch genug, um ein fremdes Pferd zu reiten. Früher, bevor sich Jungen wie Mike und Hank für Motorräder begeisterten, waren sie sicher häufig Opfer der Amhralough geworden. Jetzt sah sie sich zum See heruntergehen, Lahia rufen und sie auf die beiden ansetzen … aber dann wurde ihr klar, dass den Kelpies das Konzept von Rache und Vergeltung fremd war. Lahia würde nicht verstehen, warum es diese Jungen sein sollten und niemand anders – obwohl ihre überbordende Kraft und Aggressivität die Jägerin zweifellos gereizt hätten. Und Ahi hätte vermutlich sogar Skrupel, sich am bacha der Jungen gütlich zu tun. Er hatte so oft Hurling mit ihnen gespielt und versucht, ihre Spielzüge zu erahnen, dass er ihre Seelen sicher zumindest flüchtig berührt hatte.
Nun schienen sich Hank und Mike aber auch ohne Violas Zutun alles andere als wohl in ihrer Haut zu fühlen. Shawna berichtete, dass sie den Unterricht am Montag geschwänzt hatten – als Grund dafür nahm sie Rausch ausschlafen an. Viola deutete es anders: Wahrscheinlich hatten sich die beiden Schläger in Panik irgendwo verkrochen. Das spurlose Verschwinden eines Jungen, den man vorher zusammengeschlagen hatte, ließ schließlich nicht viele Interpretationsmöglichkeiten offen. Hank und Mike mussten annehmen, dass Ahi sich zwar noch weggeschleppt hatte, irgendwann aber in einem Krankenhaus wieder auftauchen würde. Als das auch nach Tagen nicht geschah, rechneten sie wohl stündlich mit einem Leichenfund. Auf jeden Fall erschienen sie schreckhaft und zitterig und wichen jedem Kontakt mit Viola aus. Sie mussten von ihrem Zusammenbruch gehört haben und fragten sich nun zweifellos, ob es da nicht eine Zeugin gab und aus welchem Grund sie die Schläger nicht verriet.
Viola hätte die beiden gern noch ein paar Wochen
Weitere Kostenlose Bücher