Ruf der Dämmerung (German Edition)
sie wollte wohl ihre Stute noch mal reiten – morgen geht sie weg. Sie tauscht sie gegen ein Pferd von diesem Paddy …« Alan klang gleichgültig, entfesselte bei Shawna allerdings einen Sturm.
»Sie macht was? Sie tauscht Gracie ein? Sie ist … sie ist … « Shawna nahm sich im letzten Moment zusammen. Ihre Meinung über Ainné McNamara war nun wirklich nicht für Alans Ohren bestimmt. »Kann man sie da nicht noch umstimmen? Oh, Mann, Gracie ist so ein wundervolles Pferd …«
Shawna lamentierte pausenlos, während sie am Ufer entlang in Richtung Corral schlenderten. Aber auch Violas Nervosität stieg, je näher sie den Kelpies kamen. Ainné musste zur Koppel, um Gracie zu holen. Würden sich stattdessen die Kelpies als Reitpferde anbieten? Aber sie konnten Ainné unmöglich täuschen! Woher sollten Sattel und Zaumzeuge bei den Wildlingen kommen? Viola wäre am liebsten gerannt. Es fiel ihr schwer, ihren Schritt Alans langsamem Gang mit dem Kinderwagen anzupassen.
Als sie sich dann endlich der Koppel näherten, stand die Stute Gracie am Zaun angebunden. Ainné befand sich vor dem Corral und hielt ein Pferd am Zügel. Ein Zügel, der Viola durchscheinend und irreal erschien. Aber Shawna und die anderen mussten das sehen, was Ainné sehen wollte! Ein gesatteltes Pferd ohne Reiter … eine schieferfarbene Stute … Violas Herz raste. Das also war der Plan!
»Guckt mal, was plötzlich hier auflief!«, rief Ainné fröhlich, als die anderen näher kamen. »Scheint sich verlaufen zu haben, jedenfalls kam sie zu dem Hengst im Corral. Ist ja auch ein prächtiger Kerl, nicht?« Sie zauste die Mähne der Stute. »Fragt sich nur, wo sie hingehört.«
»Der Reiter muss runtergefallen sein«, mutmaßte Violas Vater. »Komm, wir stellen sie in den Stall und rufen die Polizei an.«
Ainné war unwillig. »Ach, bis die da ist, kann dem Reiter sonst was passiert sein. So viele kommen da ja auch kaum infrage. Vom Reitstall am anderen See wird sie nicht kommen. Das ist zu weit. Eher von Bayview House. Das Mädchen reitet doch …«
»Aber das ist nicht Moiras Fluffy!«, widersprach Shawna. »Und ich wüsste nicht, dass sie ein neues Pferd hat.«
Ainné lachte. »Na ja, vielleicht erzählt sie dir einfach nicht alles«, meinte sie herablassend. »Aber ich hab sie neulich beim Reiten getroffen, auf der Springstrecke am Pony Club. Und da war sie gar nicht so glücklich mit ihrem Pferdchen, gegen Gracie fiel es ab. Sie sagte, sie brauche was Besseres, wenn sie im Sommer Turniere reiten will. Und da ist das hier doch schon mal ein Anfang! Wenn auch vielleicht noch ein paar Nummern zu groß für das Mädel … Ich reite einfach mal hoch und schaue, ob sie mir irgendwo entgegenkommt. Dann kann sie ihr Pferd ja zurückhaben.«
Ainné setzte den Fuß in den Steigbügel.
»Nein!«, brach es aus Viola hervor. »Du … du darfst sie nicht reiten!«
Ainné schüttelte missbilligend den Kopf. »Nanu, was ist denn mit dir los? Du guckst, als hättest du ein Gespenst gesehen! Nun lass aber mal den Zügel los!«
Viola hatte instinktiv nach dem Halfter des Pferdes gegriffen, aber es war nur eine Luftspiegelung. Niemand konnte Lahia daran halten.
»Wirklich, Ainné, Vio hat recht«, meinte auch Alan. »Womöglich ist das Pferd gefährlich …«
»Ach was, gefährlich …« Ainné machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann schwang sie sich in den Sattel.
Viola fragte sich, was Lahia jetzt tun würde. Sie konnte ihr Opfer nicht vor vier Zeugen in den See ziehen – kein wirkliches Pferd lehnte sich gegen den Reiter auf, indem es mit ihm wegschwamm und ihn dann ertränkte. Lahia hätte sich und den anderen ebenso das Wort »Kelpie« auf die Stirn schreiben können …
Tatsächlich wartete Lahia jetzt erst mal, bis Ainné fest im Sattel saß. Dann setzte sie sich in Galopp. Den Weg am See entlang, über die Klippen, zur Insel …
Ainné schrie vor Überraschung und Erschrecken kurz auf. Aber dann besann sie sich auf jahrelange Routine und versuchte, das Pferd zu zügeln. Viola wusste, dass dies aussichtslos war. Sie rannte zu den Kelpies im Corral.
»Sie geht durch!«, rief Alan entsetzt. »Mein Gott, sie geht mit Ainné auf und davon … da kann sonst was passieren … Wir … wir müssen …«
Natürlich gab es nichts, was sie tun mussten oder auch nur tun konnten. Aber Shawna lief trotzdem zu Gracie. Ainnés Pferd trug nach wie vor Sattel und Zaum. »Ich kann hinterherreiten …«, meinte sie unschlüssig. »Aber womöglich stachelt
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