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Ruf der Dämmerung (German Edition)

Ruf der Dämmerung (German Edition)

Titel: Ruf der Dämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Amhralough ihren Bruder an die Brust drückte. Das Baby gluckste zufrieden. Es hielt immer noch eine Strähne ihres langen, weißen Haares.
    »Gib ihn augenblicklich zurück!« Viola blitzte sie an. »Das ist gegen die Regeln. Er kann noch gar nicht reiten!«
    Ahlanija lachte. »Aber er fasst schon recht sicher zu …«, bemerkte sie und machte keine Anstalten, Kevins Finger zu lösen.
    »Ach, neuerdings ist also ein Baby in der Lage, Pferde zu stehlen?«, schleuderte Viola ihr entgegen. »Ist das eure Vorstellung von ›Wir machen immer nur ein Angebot‹?«
    Ahlanija schüttelte lächelnd den Kopf. »Sieh an, das Menschenkind!«, bemerkte sie. »Das nicht mit uns singen wollte, aber auch nicht stark genug war, einen der unseren zu binden. Und nun willst du ein paar Pferde fangen …«
    »Ich will meinen Bruder zurück!«, schrie Viola. »Ich bin nicht mehr mit Ahi zusammen, lasst mich in Ruhe!«
    Die alte Amhralough seufzte. »Ach, und wie gern hättest du Ahi zurück …«, sang ihre spöttische Stimme. »Und er verzehrt sich nach dir. Eine traurige Geschichte … etwas, über das selbst die Menschen Lieder dichten würden.«
    »Und wenn schon!« Viola überlegte, ob es ihr gelingen konnte, Ahlanija das Baby zu entreißen. Aber dazu musste sie die Alte erst in Sicherheit wiegen. »Ich will nichts mehr von ihm – von euch. Vielleicht … vielleicht hätte ich es mir ja überlegen können. Aber … aber wenn ihr Kinder raubt …«
    Ahlanija lächelte wieder und ihr Ausdruck wurde sanfter. »Ich sagte ja, du hast ihn nicht vergessen. Du träumst von unseren Liedern, Menschenkind. Warum versuchst du es nicht noch einmal? Warum kommst du nicht und singst mit uns? Bald, bald, wenn wir wieder Kraft haben – wenn bacha zwischen uns ist …«
    »Man könnte auch Blut sagen!«, ereiferte sich Viola und vergaß die Beschwichtigungstaktik. »Was bildest du dir ein, mich sozusagen zum Schlachtfest einzuladen? Und das Opfer ist mein eigener Bruder!«
    Ahlanija winkte ab. »Nun reg dich nicht auf, Menschenkind!« Sie streichelte über Kevins weiches Babyhaar, schob ihren langen, blassen Finger in seine Faust, summte ein seltsames Lied und veranlasste das Kind damit, ihr Haar ohne jedes Geschrei loszulassen. »Ich hätte deinem Bruder nichts getan – auch dann nicht, wenn er keinen Schutzstein trüge …« Sie spielte sanft mit dem Amethyst an Kevins Hals.
    Viola stieß erleichtert die Luft aus. Natürlich, sie hatte dem Kind den Stein am Morgen umgelegt. Nur um ganz sicherzugehen. Und jetzt rettete er Kevin vielleicht das Leben. Aber andererseits: Ahlanijas Worte klangen nicht wie eine Lüge.
    »Ich wollte nur wieder einmal so ein kleines Wesen im Arm haben«, flüsterte die alte Amhralough. »Eine so unschuldige Seele berühren … Viel bacha haben die kleinen Dinger ohnehin nicht. Aber nama … oh ja! Und sie riechen süß und ich liebe ihr Lächeln … es ist so lange her, dass die Amhralough ein Kind hatten … so lange her … « Ahlanija küsste Kevin auf die Stirn und legte ihn dann vorsichtig in seinen Wagen zurück.
    »Versuch es doch noch einmal mit uns, Menschenkind!«, bat sie Viola. Es klang fast flehend. »Du bist jung, du bist stark. Ahi liebt dich. Lahia wird er niemals lieben, er hat ja Angst vor ihr. Und dann wird es niemals wieder ein Kind geben. Aber mit dir …«
    Viola starrte sie an. Es war unglaublich, die Alte wollte sie als eine Art Zuchtstute! Aber gleich darauf spürte sie, dass Ahlanija es nicht böse meinte. Die alte Amhralough öffnete ihr ihre Seele und teilte ihre Gedanken. Sie wollte Viola nicht benutzen, sie wollte mit ihr singen. Ahlanija bot ihr die Harmonie der Amhralough und Ahis Liebe. Aber sie forderte ihre Seele. Wenn sie mit den Amhralough leben wollte, musste sie hinunter in den See gehen. Sich im Takt der Wasserpflanzen wiegen, mit den Amhralough singen und ihnen irgendwann ein Kind gebären. Ein Wesen, das sich dann mit einer Kleinen Seele aus den Bergen verband …
    Einen Augenblick lang erschien Viola die Aussicht verlockend. Ohne Sorgen, ohne Angst leben, nur Liebe und Harmonie.
    Aber dann entwand sie sich der geistigen Berührung der alten Amhralough. Viola dachte an das ständige Halbdunkel im See, die Musik, die ihr bei aller Schönheit fremd blieb. Und ein Kind, das töten musste, um zu leben. Viola schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht!«, flüsterte sie in plötzlicher, verzweifelter Erkenntnis. »Ich kann es nicht. Dafür … dafür liebe ich ihn nicht genug

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