Ruf der Dämmerung (German Edition)
dagegen mal jemand als Pferd käme …«, überlegte sie und erntete damit brüllendes Gelächter.
»Aber als Pferd …«, begann Miss O’Keefe, wurde dann jedoch von der Schulglocke unterbrochen.
Guinness wartete schon im Eingang zum Campingplatz, als Viola am Ende des ziemlich langen Schultages aus dem Bus stieg. Der kleine Hund begrüßte sie enthusiastisch und
Viola hoffte, dass Shawna darauf nicht eifersüchtig reagierte. Der Collie hatte sich Viola in den letzten Tagen vermehrt angeschlossen, sie waren so etwas wie Schicksalsgenossen, da beide sich langweilten. Guinness gehörte eigentlich zu einer Hütehunderasse und hätte sich wohl am glücklichsten bei einem Schäfer gefühlt. Aber sicher wäre er auch gern Mitglied einer richtigen Familie gewesen, in der alle ihn liebten. Ainné wollte allerdings kein Tier im Haus haben, wenn das Baby kam. Bill schimpfte, weil der Hund beharrlich versuchte, seine Ponys wie Schafe zusammenzutreiben, und Violas Dad war so beschäftigt und gestresst von seinen Aufgaben, dass er einfach keine Zeit für Guinness fand.
Viola hatte ganz richtig vermutet, dass Alan McNamara die Arbeit auf dem Campingplatz wenig lag. Zwar mochten ihn die Gäste und er war immer für einen Schwatz zu haben, aber wenn es um Reparaturen ging, spannte er meist Patrick ein. Viola nahm an, dass ihm jetzt schon davor graute, den praktischen jungen Helfer demnächst wieder ans Trinity College in Dublin zu verlieren.
Viola kraulte Guinness, der erwartungsvoll an ihr hochsprang. »Lass mich erst versuchen, den Laptop zum Laufen zu bringen, dann gehen wir spazieren«, verhieß sie ihm und Guinness lachte über sein ganzes sympathisches Colliegesicht, als hätte er jedes Wort verstanden.
Ich werde noch zum Naturburschen, dachte Viola resigniert, als sie einen prüfenden Blick in den Himmel warf, bevor sie mit dem Hund ins Haus ging. Regen oder Sonnenschein – in den letzten Tagen hatte sie Stunden damit zugebracht, mit Guinness durch die Landschaft zu streifen. Zunächst aus Langeweile, aber dann begann es fast, ihr Spaß zu machen. Die Gegend rund um den See war einfach zu schön, um davon unbeeindruckt zu bleiben. Mitunter fühlte Viola sich wie in den Märchenländern ihrer Fantasygames, wenn sie plötzlich wieder ein verträumtes, von Farnen und knorrigen Bäumen bewachsenes Inselchen erspähte und die verfallene, uralte Brücke überquerte, die es mit dem Festland verband. Sie erinnerte sich an die Märchen von Elfen und Feen, die ihr Vater erzählt hatte, als sie noch klein war. Sie konnte sich gut vorstellen, dass diese Wesen hier hausten und in Vollmondnächten auf den sattgrünen Uferwiesen ihre Tänze aufführten. Und vielleicht versteckten sich ja auch Kobolde hinter den riesigen Findlingen, die wie achtlos hingeworfen auf den Hügeln lagen. An Sonnentagen spiegelten sich die Felsen im See und wirkten dann selbst wie Geister, die mit den Wellen spielten. Manchmal scheuchte Guinness Schwäne auf. Verzauberte Königskinder … Viola erinnerte sich an ein Computerspiel, in dem so was eine Rolle gespielt hatte. Aber hier befand sie sich mitten drin in dieser verwunschenen Landschaft – nur dass sie keine magischen Aufgaben zu erfüllen hatte, sondern lediglich versuchte, sich ums Kloputzen herumzudrücken. Sie lachte bei dem Gedanken und nahm sich vor, beim nächsten Mal eine Kamera mitzunehmen, um Katja das alles zu zeigen. Aber dafür musste erst mal die Internetverbindung stehen. Genau darum würde sie sich jetzt kümmern.
Viola versuchte, sich so unauffällig wie möglich ins Haus zu schleichen. Zwar konnte sie sich heute mit Schulaufgaben herausreden, aber wenn sie ein »Vielleicht möchtest du …« von Ainné umgehen konnte, würde sie es tun.
Im Wohnzimmer tobte allerdings gerade ein heftiger Streit zwischen ihrem Dad und seiner neuen Frau.
»Du könntest ihm schon etwas mehr zur Hand gehen! Ich bin im Moment wirklich außer Gefecht gesetzt, und Patrick behauptet, er hätte eine Allergie gegen Wespenstiche …«
Viola grinste in sich hinein. Es ging also wieder mal um die neue Weide, die Ainnés Vater unbedingt einzäunen wollte. Allerdings hatte niemand Lust, ihm dabei zu helfen – selbst Shawna redete sich mit Schulaufgaben und Arbeit im Restaurant ihrer Eltern heraus. Patrick hatte sich die Sache mit den Wespenstichen einfallen lassen, nachdem Shawna auf dem fraglichen Wiesenstück mehrmals gestochen worden war. Die ließ die Ponys dort oft an der Hand grasen und fand die Idee
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