Ruf der Daemmerung
Lahia. Aber Ahi ...
»Ahi, es ist Familie! Du würdest auch nicht wollen, dass Ahlaya oder Hayu oder - Lahia etwas passiert!«
»Für dich. Ich tue es für dich.« Viola hörte die vertraute Stimme in ihrem Kopf.
Der graue Hengst nahm Anlauf - und musste das Tempo zurücknehmen, als sich ihm die anderen Kelpies vor dem Zaun in den Weg stellten. Ahis beagnama stieg daraufhin steil auf die Hinterhufe und biss um sich, kämpfte sich zum Zaun durch und zerschlug die Stangen mit ein paar gezielten Hufschlägen. Über die Fragmente hob es sich mit einem kräftigen Sprung und jagte dann Lahia und Gracie hinterher.
»Was läuft da, um Himmels willen?«, fragte Patrick verwirrt. »Was hast du gemacht mit diesen Teufelsgäulen?«
»Komm, hinterher ...« Viola zerrte Patrick im Laufschritt über den Uferpfad. Sie hoffte nur, dass Kevin nach wie vor seinen Schutzstein trug, denn niemand kümmerte sich mehr um das Baby in seinem Wagen. Zum Glück schien das Kind zu schlafen.
Viola und Patrick rannten den Weg an der Klippe entlang und trafen nach nur hundert Metern auf den völlig erschöpften Alan.
»Ich bin ... ich bin gestolpert ...« Violas Dad hielt sich den Knöchel. »Ich kann nicht weiter. Aber sie sind zum See runter ...«
Viola nickte. »Klar! Shawna?« Sie keuchte.
»Shawna ist hinterher. Aber der Graue hat sie überholt. Wie ist der bloß da raus ...?«
»Geh zurück und pass auf Kevin auf!«, wies Viola ihn an. »Wir ... wir tun, was wir können.«
Damit rannte sie weiter. Aber zu Fuß hatten sie natürlich keine Chance. Lahia jagte in Richtung der Bucht, in der die kleine Insel lag. Das Ufer war dort flach, aber dicht mit Schilf bewachsen. Bevor es für Viola und Patrick auch nur in Sichtweite kam, wäre das Kelpie längst darin verschwunden und abgetaucht. Allenfalls konnte Shawna Lahia noch erreichen - und Ahi ...
Der Weg zog sich endlos hin und Viola hatte das Gefühl, ihre Lungen würden bersten und ihre Beine würden ihr den Dienst versagen. Aber irgendwann hatten sie doch das Wäldchen durchquert und die Klippe hinter sich gelassen. Vor ihnen lagen grüne Wiesen und dann das liebliche Ufer mit der Brücke und dem Inselchen im Hintergrund. So friedlich wie sonst war es hier jedoch nicht. Stattdessen kämpften zwei Pferde am Strand. Der graue Hengst stand am Ufer und versuchte, die schieferfarbene Stute mit Bissen und Huftritten vom Wasser fernzuhalten. Die wehrte sich erbittert.
Ainné klammerte sich schreiend am Sattel und an ihrer Mähne fest. »Er wird mich noch treffen! Hau ihn, Shawna, mach!«
Shawna stand, Ainnés Reitgerte in der Hand, ein paar Meter von den streitenden Pferden entfernt. Sie war offensichtlich unschlüssig, ob und zu wessen Gunsten sie sich einmischen sollte.
»Vertreib diesen verdammten Hengst!«, brüllte Ainné.
»Komm da weg, Shawna, das ist gefährlich!«, schrie Patrick.
»Hilf dem Grauen, Shawna, die Stute darf nicht ins Wasser!«
Viola rannte zum Strand.
»Wenn sie erst im Wasser ist, kriege ich sie gebändigt!«, rief dagegen Ainné. »Ich hatte sie vorhin schon fast in der Hand, aber dieser vermaledeite Graue ...«
Viola verspürte widerwillig so etwas wie Respekt. Ainné war offensichtlich immer noch völlig furchtlos und überzeugt, das Pferd an den Zügel bringen zu können.
»Nun jag ihn schon weg, Shawna!«
Shawna hob unsicher die Gerte. Viola riss sie ihr aus der Hand.
»Lass ihn in Ruhe. Es ist Ahi! Und die Stute ist ... Sie darf nicht ins Wasser. Sie ist ein Kelpie!«
Viola begann, verzweifelt auf Lahia einzuschlagen. Und der Elan der Stute schien endlich nachzulassen. Viola konnte sich denken, warum. Es gab wieder drei Zeugen. Sie würde Ainné nicht in aller Öffentlichkeit verschleppen. Zudem mischte sich jetzt auch Patrick ein. »Spring ab, Ainné!«
»Ich ... ich kann nicht ...« Es klang verblüfft. Viola meinte, sich zu erinnern, dass Kelpies ihre Reiter bannten. Abspringen im letzten Moment war wohl unmöglich.
»Zieh sie runter, Patrick!«, brüllte Viola.
Lahia kam sekundenlang zum Stehen, nachdem sie sich Ahi und Viola gemeinsam gegenübersah. Sie checkte wohl ihre Chancen, die nur noch darin bestanden, ein weiteres Mal mit ihrer Beute zu fliehen. Sie musste dann allerdings den Weg zurückgaloppieren, im weiteren Verlauf dieser Strecke wich der Strand einer längeren Steilküste.
Patrick wollte zufassen, aber Lahia warf sich auf der Hinterhand herum. So schnell gab sie nicht auf, sie raste an Patrick und Shawna vorbei und jagte
Weitere Kostenlose Bücher