Ruf Der Tiefe
Muscheln aufhebeln, ihren Magen durch die Lücke zwängen und die Muschel in ihrer eigenen Schale verdauen. Dann wäre ihr bestimmt schlecht geworden.«
»Wahrscheinlich. Also – falls wir doch noch hier rauskommen, dann weißt du jetzt, was für Sprüche du in solchen Situationen auf keinen Fall bringen solltest.«
Leon nickte schweigend. Das Wasser hatte die Kante seines Sitzes noch nicht erreicht, doch er wusste, dass es da war, und er konnte spüren, wie es lautlos stieg.
Weiter und weiter.
»Das mit dem Leck klingt übel«, sagte Julian und hieb die Faust auf das Holz der Sitzbank. »Und sie liegen so tief, dass man sie mit Panzertauchanzügen nicht mehr erreichen kann. Mit den OxySkins könnten wir es schaffen, aber die sind auf der Thetys !«
»Wie genau hättest du den beiden helfen wollen?«, gab Billie heftig zurück, ohne Carima zu beachten, die eingeschüchtert neben ihr hockte. »Wenn die Moray stark beschädigt ist, dann hätten wir die beiden ohnehin nicht rausgekriegt!«
»Nein, aber wir hätten zumindest versuchen können, das Tauchboot zu befreien.«
»Das kann auch jemand anders an unserer Stelle versuchen.« Billie rannte zum Heck des Bootes, tauchte das Ding an ihrem Handgelenk, das wie ein kleiner Computer aussah, ins Wasser und drückte auf einen Knopf. Keine Minute später tauchte Shola direkt neben dem Boot auf und Billie gab ihr mit wenigen schnellen Handbewegungen ihre Instruktionen. Senkrecht tauchte das junge Pottwalweibchen ab, einen Moment lang zog ihre Schwanzflosse noch einen eleganten Bogen durch die Luft, dann verschwand auch sie.
Währenddessen hängte sich Julian wieder an den Funk und nahm Kontakt mit der Thetys auf. »Sie haben Alarmstufe Rot, das Rettungskommando kommt so schnell wie möglich – aber bis es da ist, kann es noch dauern«, berichtete er danach.
»Können sie uns die OxySkins nicht mit dem Heli vorausschicken?« Billie nagte an ihrer Unterlippe.
Verzweifelt schüttelte Julian den Kopf. »Der Hubschrauber ist gerade in Honolulu, weil Madame dort irgendwas zu erledigen hatte.«
»Äh, übrigens, ich habe Leons OxySkin dabei«, wagte sich Carima einzumischen. »Und einen Fünf-Liter-Kanister Per… na ja, diese Atemflüssigkeit eben.«
Billie fuhr herum, ihre Augen blitzten. »Du hast …? Oh, Gott sei Dank! Carima, du bist ein Schatz! Aber warum hast du das nicht gleich gesagt? Dann hätte Shola sie gerade mitnehmen können nach unten, um sie ihm zu bringen.«
Carima zuckte verlegen die Schultern, daran hatte sie nicht gedacht.
Rastlos ging Julian auf dem Deck hin und her. »Mach dir nichts vor, Billie«, sagte er. »Shola ist nicht sonderlich gut darin, Sachen zu transportieren, und ich glaube nicht, dass sie es schaffen könnte, eine Tasche und einen Kanister direkt in der Schleuse der Moray abzuliefern. Anders kommen Leon und Tim nicht dran, wenn ihr Tauchboot festhängt.«
Widerstrebend nickte Billie. »Du hast recht. Und wenn Shola einen Fehler macht, ist die OxySkin verloren und Leons letzte Chance dahin. Besser wäre, einer von uns könnte das Zeug hinbringen – fragt sich nur, wie …«
»Ich habe noch ein paar Anzüge mitgebracht«, sagte Carima aufgeregt und war froh, dass sie sich die Mühe gemacht hatte, das Zeug mitzuschleifen. »Aber es sind ziemlich alte und außerdem sind sie für jemand anders gemacht worden.«
»Zeig her!«, kommandierte Julian, und Carima bat Hope, ihnen die Tasche und den Kanister von der Lovely Lucy aus rüberzuwerfen. Kurz darauf zog Julian eine alte OxySkin nach der anderen hervor und reichte sie an Billie weiter, die sie staunend hochhielt wie ein Mädchen, das gerade Abendkleider für seinen ersten Ball aussucht.
»Die hier könnte mir halbwegs passen«, sagte Julian schließlich und begann, sich das T-Shirt vom Leib zu zerren. »Ich gehe runter. Wird schon irgendwie klappen. Sieht so aus, als wäre das Leons einzige Chance.«
Billie nahm den Anzug, den Julian ausgewählt hatte, betrachtete ihn und schleuderte ihn aufs Deck zurück. »Das meinst du nicht ernst, DiMarco! Das Ding gehört in ein Museum! Du würdest spätestens in hundert Meter Tiefe ersticken oder Krämpfe kriegen, weil die automatische Steuerung dir zu viel Sauerstoff liefert!«
»Egal, ich muss es versuchen!«, brüllte Julian, und erschrocken sah Carima, dass er Tränen in den Augen hatte. »Es ist meine Schuld, dass all das passiert ist, es ist meine Schuld, dass Leon auf die Thetys gebracht worden ist und fliehen musste …«
»He,
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