Ruf der Wildnis
wenn dieser ihn ansprach und berührte.
Aber er suchte diese Gunst nicht. Skeet dagegen hatte die Gewohnheit, ihre Nase unter Thorntons Hand zu schieben und so lange anzustoßen, bis sie getätschelt wurde. Nig wiederum legte seinen mächtigen Schädel auf Thorntons Knie. Buck aber genügte es, seinen Herrn aus der Entfernung zu verehren. Stundenlang lag er zu seinen Füßen, schaute zu dem geliebten Gesicht auf und verfolgte jeden flüchtigen Ausdruck und jede geringste Bewegung der Züge. Oft spürte Thornton diesen Blick, drehte sich wortlos um, und ihre Augen begegneten sich in einer stummen Zärtlichkeit.
Lange Zeit nach seiner Rettung folgte Buck seinem Herrn auf Schritt und Tritt und ließ ihn niemals allein. Wenn Thornton das Zelt verließ, blieb er ihm auf den Fersen. Buck hatte Angst, sein Herr könnte wieder aus seinem Leben verschwinden wie Perrault, François und das Halbblut. Selbst im Traum verließ ihn diese Furcht nicht. Wachte er auf, dann kroch er zur Zeltöffnung und lauschte dem Atem seines Herrn.
Aber trotz dieser großen Liebe zu John Thornton, die eine Rückkehr in sein früheres zivilisiertes Leben im Süden bedeutete, lebte in ihm das Ursprüngliche weiter, das im Nordland geweckt worden war. Das Raubtier blieb in ihm lebendig und wirksam. Am Feuer John Thorntons saß kein zahmer Hund aus dem Süden, sondern ein Wesen, das aus der Wildnis kam und ein Teil der Wildnis blieb.
Zahllose Kämpfe mit anderen Hunden hatten an Bucks Körper unzählige Narben hinterlassen. Buck kämpfte jedesmal genauso unerbittlich wie damals mit Spitz. Skeet und Nig waren zu gutmütig, um mit ihnen zu streiten, außerdem gehörten sie zu John Thornton. Aber jeder fremde Hund, so groß und stark er auch sein mochte, mußte Bucks Überlegenheit anerkennen oder er fand sich plötzlich mitten in einem Kampf auf Leben und Tod mit einem schrecklichen Gegner. Buck war erbarmungslos. Er hatte das Gesetz des Nordens kennengelernt, er verpaßte nie einen Vorteil oder räumte das Kampffeld, ehe sein Feind unterlegen war. Er wußte, daß es keinen Mittelweg gab. Das Gesetz hieß: töten oder getötet werden. Mitleid war Schwäche. In dieser primitiven Welt wurde Mitleid als Angst angesehen, und wer das nicht wußte, verlor sein Leben.
Buck war älter als die Tage, die er selbst gelebt hatte; in ihm pulste der gewaltige Rhythmus längst vergangener Zeit. Am Feuer Thorntons lag ein Hund mit einer breiten Brust und langen, zottigen Haaren, ein Hund aus der Zivilisation, doch hinter ihm standen die Schatten der wilden Vorväter, Halbwölfe, Wölfe, die sich um ihn drängten. Sie waren hungrig nach dem Fleisch, das er fraß, dürsteten nach dem Wasser, das er trank, witterten mit ihm in den Wind, lauschten mit ihm, befahlen ihm, legten sich mit ihm schlafen, träumten mit ihm und wurden selbst Gegenstand seiner Träume.
Diese Schatten forderten so gebieterisch, daß ihm die Menschen und die Ansprüche der Menschen an den gezähmten Hund immer fremder wurden. Aus der Tiefe des Waldes klang ein Ruf, und sooft er diesen geheimnisvoll lockenden Ruf vernahm, überlief ihn ein Schauer, und er fühlte den Trieb, dem Feuer und der von den Menschen niedergetretenen Erde ringsum den Rücken zu kehren und in den Wald zu stürzen, weiter und immer tiefer hinein, wohin und warum, das wußte er nicht und wollte es auch gar nicht wissen. Aber wenn er die weiche, unberührte Erde und die stillen, grünen Schatten des Waldes erreicht hatte, trieb ihn die Liebe zu seinem Herrn wieder zum Feuer zurück.
Thornton war der einzige Mensch, der ihn hielt. Er kümmerte sich um keinen anderen. Besucher mochten ihn loben oder tätscheln, er blieb kalt, und wenn einer allzu zärtlich wurde, ließ er ihn einfach stehen und ging. Als Thorntons Gefährten, Hans und Pete, auf dem langerwarteten Floß ankamen, weigerte sich Buck, sie anzuerkennen, bis er merkte, daß sie zu seinem Herrn gehörten. Dann duldete er sie, aber auf eine Art, als ob er ihnen damit eine Gnade erweisen würde. Sie gehörten zum gleichen Schlag wie Thornton, dachten einfach und sahen klar, und bevor sie noch mit dem Floß in Dawson angekommen waren, verstanden sie Buck und seine Eigenheiten und behandelten ihn anders als die übrigen Hunde.
Die Liebe zu seinem Herrn aber wuchs und wuchs. Thornton allein durfte es sich erlauben, während der Sommerreise einen Packen auf Bucks Schulter zu legen. Nichts war für Buck zu schwierig, wenn Thornton es befahl.
Eines Tages während ihrer
Weitere Kostenlose Bücher