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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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blasses Gesicht steigen. Und um eine solche Familie Sorge und Anstrengung, darum Intriguen, damit eines ihrer Mitglieder nicht zu Schaden komme! Sie kam sich selbst in dem Augenblick so ordinair vor.
    Die Kutsche hielt vor ihrem Hause. Der Diener öffnete den Schlag. Er schien aus ihren Mienen ihre Bestimmung lesen zu wollen. Sie warf einen Blick auf die erleuchteten Fenster: »Herr Geheimrath erwarten Frau Geheimräthin zum Piquet.« – Sie hatte schon einen Fuß auf dem Tritt und blieb einen kurzen Augenblick stehen, als thue der Regen, der in unverminderter Heftigkeit fiel, ihr wohl, dann warf sie sich in den Wagen zurück und befahl: »In die Komödie!«
    Die Stadt war noch immer aufgeregt von dem Schauspiel am Mittage. Es war seit lange keine Hinrichtung vorgefallen. Die Heimgekehrten kamen erst jetzt aus den Schenken zurück, es gab mancherlei Unruhe, kleine Aufläufe, Verhaftungen. Der Kutscher zog es, der tobenden Menschenschwärme wegen, vor, durch eine der Quergassen zu fahren, welche herrschaftliche Equipagen sonst vermeiden. Auch hier stopften sich die Fuhrwerke, und die Dame hatte Gelegenheit, durch die Kutschenfenster ein Schauspiel zu betrachten, was Frauen ihres Standes sonst nicht aufsuchen – an den hell erleuchteten und grell drapirten Fenstern der kleinen Häuser die Schönheiten, welche sich den Vorübergehenden zur Schau stellen.
    Sie schlug die Augen nicht nieder und wandte den Blick nicht ab. Sie fühlte auch kein Mitleid mit den armen Geschöpfen: Sie schlürfen des Lebens Gluth in vollen Zügen, aus einem Taumel in den andern gestürzt, kaum dazwischen erwachend, bis sie verwelken und man sie fortwirft. Und das ist unser Aller Loos – ob früher, ob später? Was kommt es darauf an. Wer nur sagen kann: er hat sein Leben genossen!
    Das Komödienhaus war nicht gefüllt. Die Geheimräthin saß allein in ihrer Loge. Ihr schien das Haus dunkel. Es war nicht dunkler als gewöhnlich. Die Talglichter, die der Lampenputzer vor den Augen des Publikums ansteckte, duldeten auch keinen entfernten Vergleich mit dem Glanz der Theater von heut. Man sah wohl damals schärfer, denn man sah mehr, aber das Licht kam aus der Darstellung, versichern uns Die, welche aus jener Zeit das deutsche Theater kennen. Für die Geheimräthin aber blieb es dunkel, obgleich Fleck als Odoardo seine ganze adlige Kraft entfaltete, die spätere Händel-Schütz als Orsina das Publikum entzückte. Lessings Meisterwerk schien ihr an einem Etwas zu lahmen, das sie sich nicht erklären konnte; der jungen Schauspielerin, welche die Emilie zum ersten Male gab, hätte sie nachhelfen mögen. Wenn sie sich Rechenschaft gab, war es aber nicht die Schauspielerin, sondern sie hätte ihrer Rolle, ihrem Charakter eine andere Richtung geben mögen. Ihre Phantasie beschäftigte sich, eine welche andere Rolle Emilie spielen können, selbst glücklich und beglückend, glänzend und Glanz um sich verbreitend, wenn sie den Pulsen folgte, die für den Prinzen schlugen. Eine welche andere Herrschaft über ihn blühte ihr als der stolzen Orsina, vermöge ihres Liebreizes, ihrer geistigen Vorzüge. Sie hatte es in ihrer Macht, auch dieses Prinzen Wankelmuth zu fesseln, und Tausende, ein ganzes Land glucklich zu machen. Und alles das vernichtet ein plumper Dolchstoß, der alle unglücklich macht und – die Thörin bat selbst darum!
    Die Geheimräthin war gewohnt, in ihrer Loge Besuche zu empfangen. Entweder zeigte sich heut kein Bekannter, oder sie hielten sich entfernt. In einer Loge gegenüber, wo eine neu angekommene Schauspielerin von Ruf saß, hörte das Klappern der Logenthür nicht auf. Ihr war diese Störung unangenehm, das Schauspiel fing an sie zu langweilen. Sie besann sich, daß sie zwar die Einladung zu einer Gesellschaft heut Abend nicht angenommen, aber auch nicht abgelehnt hatte. Sie hatte nur gesagt, sie fürchte einer Migraine wegen nicht erscheinen zu können. Sie hatte, oder wollte jetzt keine Migraine haben und verließ die Loge.
    Der Bediente hielt schon im Korridor ihre Enveloppe bereit. »Er zittert ja.«
    Sie hätte kaum nöthig gehabt, sich nach dem Grund zu erkundigen, der Bediente war ja noch in denselben ganz durchnässten Kleidern, in welchen er auf dem langen Doppelwege aufgestanden. Der zugigte Korridor hinter den Logen war nicht geeignet, die Naßkälte zu vertreiben. Johann sagte, das Fieber sei noch immer nicht ganz fort. Die Geheimräthin erwiderte nicht unfreundlich, er müsste endlich etwas dazu thun.
    Der Regen

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