Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
das ästhetische Gefühl der Fürstin verletzt? Weil grade diese Rivalität ihren Schönheitssinn empörte? – Ein höhnisches Lächeln schwebte auf seinen Lippen. Er litt zum ersten Male ungerecht. Er hatte nie im Ernst an die Heirath gedacht. War es nur eine Weiberlaune, welche plötzlich in ihr aufgestiegen, und hatte die Aufwallung einer Phantasie so lange, künstliche, wenn auch nie ganz feste Bande gesprengt? Oder lag etwas Bestimmtes zu Grunde?
Mit jedem Schritte gewann die letzte Vorstellung an Gewicht. Eine fürchterliche Ueberzeugung, aus Kettengliedern zu einer Kette geworden. Er war nicht mehr, oder vielmehr, er galt nicht mehr, was er gegolten. Wer giebt einem fadenscheinigen Rock seine Wolle wieder! Sein Kopf senkte sich, seine Füße wurden schwerer. Der frühe Morgen war ein Glück für ihn; er begegnete keinen Bekannten. Der große Menschenkünstler hätte seine Aufregung nicht verbergen können. Dort stand er an der Ecke, zaudernd, drei Wege vor ihm, der eine führte zur Post. Seine rechte Hand griff unter den Rock, an die Stelle wo das Herz sitzt. Ob er dessen Pochen hörte, es unterdrücken wollte? Ueber dem Herzen war aber auch die Brusttasche des Rockes, in dieser sein Taschenbuch, und in demselben steckte ein von allen Gesandschaften visirter Paß ins Ausland. Es waren auch vielleicht mehrere Pässe auf mehrere Namen. – Sein Sinnen in dem Augenblicke war, ob er nach der Post eilen, Extrapost nehmen, und die Stadt und das Land auf immer verlassen solle? Vielleicht ließ er damit mehr hier zurück, als den Staub seiner Füße – seinen Namen. An einem andern Orte tauchte er unter einem andern neugeboren auf; die Welt ist groß.
Aber vor seinen Augen musste sie nicht so groß erscheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe kneifend, vor sich hinstarrte. Auf der Landkarte, die sein Auge in der Luft vor sich zeichnete, sah er vielleicht Städte und Länder, die ihm schon verschlossen waren. Indem schallte Reitermusik die Straße herauf. Berittene Rekruten sangen das jetzt so beliebte:
Frisch auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!
Ins Feld, in die Freiheit gezogen!
Sie schaukelten sich dabei, noch ungeschult, in toller Lustigkeit in den Sätteln. »Was ist diesen Bauernlümmeln Freiheit – was Vaterland!« rief es in ihm. »Der Stock ihr Meister, und doch gehn sie muthig dem entgegen, dem sie nicht ausweichen können; sie müssten denn desertiren. Und das Desertiren hat in diesem Lande mehr Gefahr, als – dem Feinde stehen. Ich will auch nicht desertiren.«
Er ging weiter; nicht nach der Post, aber doch schien er noch unschlüssig, wohin. War es Zufall, daß seine Schritte sich nach dem Hotel des französischen Gesandten lenkten? Alles war hier in Thätigkeit, Packwagen standen unter dem offenen Thorweg; aber auch eine Kutsche angespannt auf der Straße. Laforest wollte Abschiedsbesuche machen. Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig aufgenommen sein; er ging unschlüssig bis an die Stufen, aber – er musste Gründe haben, weshalb er nicht anklopfte. Er ging rasch vorüber, und athmete auf. »Er ist doch nur ein Meteor!« sprach er für sich. »Wenn er untersinkt, wo bleibt Napoleons Schweif!« Wir glauben, daß Wandel sich hierin selbst belog. Er hatte andere Gründe, weshalb er Frankreich nicht mehr betrat.
Er war auf eine Bank unter den Linden hingesunken. Zwei Morgenspaziergänger, die einen Brunnen tranken, setzten sich ebenfalls. Nachdem sie über die Wirkungen des Wassers sich des Längeren unterhalten, sprachen sie auch von der Lupinus und ihrer Verhaftung. Die Geschichte erhielt neue Wendungen. Sie war nach des Einen Konjektur eine geborne Giftmischerin aus Instinkt. Er wollte gehört haben, sie hätte schon in der Schule angegiftet, dann als fünfzehnjähriges Mädchen zuerst ihren Vater und darauf ihre Mutter komplet vergiftet. Die Zahl ihrer übrigen Opfer lasse sich gar nicht berechnen, und sie thue es ohne allen Zweck und Vortheil, nur weil es in ihrem Blut liege. Sie könne es nicht lassen. Der Andere wollte entgegengesetzte Nachrichten haben: sie sei eine wohlerzogene und treffliche Frau gewesen, aber die Neigung zu einem fremden Herrn habe sie aus Rand und Band gebracht. Sie hätte sich zuerst selbst vergiften wollen, weil er ihre Leidenschaft nicht erwidert, ihre Blicke nicht verstanden. Dann aber hätten sie sich verständigt, und der fremde Herr merken lassen, daß, wenn sie frei wäre, und nicht Manches sonst im Wege stände, er sie gern
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