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Ruhe unsanft

Ruhe unsanft

Titel: Ruhe unsanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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des Schauspielers tönte tragisch über die Rampe: »Bedeckt ihr Antlitz! Vor meinen Augen flimmert es, sie starb so jung…« Gwenda schrie, sprang von ihrem Sitz auf, ohne sich um die Unruhe, die im Publikum entstand, zu kümmern, drängte sich durch die Reihe und stürzte blin d lings ins Foyer und auf die Straße hinaus. Erst am Picc a dilly kam sie auf die Idee, ein Taxi zu nehmen. In Chelsea bezahlte sie mit zitternden Fingern den Fahrer und kli n gelte am Haus ihres Vetters. Das Dienstmädchen, das öffnete, sah sie erstaunt an.
    »Sie kommen früh zurück, Ma’am. Ist Ihnen nicht gut?«
    »Doch… Nein… Es sind nur Kopfschmerzen…«
    »Soll ich Ihnen etwas bringen, Ma’am? Vielleicht einen Brandy?«
    »Nein, danke. Ich gehe lieber gleich zu Bett.« Gwenda eilte die Treppe hinauf, um weiteren Fragen auszuwe i chen.
    Sie zog sich aus und ließ die Kleider unordentlich auf dem Boden liegen. Bald lag sie zitternd, mit klopfendem Herzen, da und starrte an die Zimmerdecke.
    Sie hörte nicht, wie Joan, Raymond und Miss Marple nachhause kamen, aber fünf Minuten darauf öffnete sich die Tür, und die alte Dame trat mit einer Wärmflasche und einer Tasse Tee ein.
    Gwenda setzte sich im Bett auf und bemühte sich, ihr Zittern zu unterdrücken.
    »Ach, Miss Marple – ich weiß nicht, wie ich mich en t schuldigen soll. Ich habe mich idiotisch aufgeführt. Sind Joan und Raymond sehr wütend auf mich?«
    »Keine Angst, mein liebes Kind!«, antwortete Miss Marple. »Legen Sie sich nur schön die Wärmflasche ins Bett.«
    »Ich brauche eigentlich keine.«
    »Heute schon. So ist’s gut. Und jetzt trinken Sie den Tee.« Der Tee war heiß, stark und viel zu süß, aber Gwenda trank ihn gehorsam aus. Das Zittern ließ fast sofort nach.
    »Nun legen Sie sich brav hin und schlafen«, sagte Miss Marple. »Über Ihren kleinen Schock unterhalten wir uns morgen. Grübeln Sie nicht unnötig darüber nach! Schl a fen Sie!«
    Sie zog die Decke hoch, tätschelte Gwenda sanft die Wange und ging hinaus.
    Unten fragte Raymond seine Frau gerade in gereiztem Ton: »Was, in aller Welt, war bloß in Gwenda gefahren? Ist sie krank, oder was?«
    »Keine Ahnung, Raymond. Sie hat einfach geschrien. Vermutlich war das Stück zu unheimlich.«
    »Na ja, der alte Webster ist schon ein wenig unheimlich. Trotzdem – ich hätte nicht gedacht…« Er brach ab, weil Miss Marple eintrat. »Hat sie sich beruhigt?«
    »Soweit ja, glaube ich. Aber es war ein schwerer Schock für sie.«
    »Wieso? Wer kriegt von so einem alten Schauerstück gleich Zustände?«
    »Wahrscheinlich steckt ein bisschen mehr dahinter«, sagte Miss Marple nachdenklich.
     
    Gwenda frühstückte in ihrem Zimmer, Kaffee und ein wenig Toast. Als sie hinunterkam, war Joan in ihr Atelier gegangen, Raymond hatte sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen, und Miss Marple saß strickend beim Wohnzimmerfenster, das eine schöne Aussicht auf die Themse bot. Bei Gwendas Eintritt blickte sie friedlich lächelnd von ihrem Strickzeug auf.
    »Guten Morgen, liebes Kind. Geht’s Ihnen besser?«
    »Danke ja, ich bin wieder völlig in Ordnung. Ich weiß wirklich nicht, warum ich mich gestern Abend so aufg e führt habe. Sind Joan und Raymond sehr wütend auf mich?«
    »Aber nein, Kind. Sie verstehen es.«
    »Was verstehen sie.«
    »Dass Sie einen Schock erlitten haben.« Nach einer ku r zen Pause fügte Miss Marple freundlich hinzu: »Wollen Sie sich nicht mit mir darüber aussprechen?«
    Gwenda ging rastlos auf und ab.
    »Ich glaube, ich gehe besser zum Psychiater.«
    »Natürlich gibt es ausgezeichnete Nervenärzte in Lo n don, aber halten Sie das wirklich für nötig?«
    »Nun… ich glaube allmählich, ich werde verrückt… Wie könnte ich sonst immer wieder…«
    Das Erscheinen des Dienstmädchens, das ihr ein Tel e gramm brachte, ließ sie stocken. Es war ihr von Dil l mouth nachgeschickt worden. Sie riss den Umschlag auf, las mit unbewegter Miene den kurzen Text und knüllte das Blatt zusammen.
    »Hoffentlich keine schlechte Nachricht?«, fragte Miss Marple besorgt.
    »Nein. Giles – mein Mann – kündigt seine Ankunft an. Nächste Woche wird er hier sein.«
    Sie sagte das mit einer so tonlosen, traurigen Stimme, dass Miss Marple mitfühlend hüstelte. »Nun«, sagte sie. »Das ist doch sehr erfreulich! Oder nicht?«
    »Erfreulich? Wenn ich nicht weiß, ob ich verrückt bin? Da hätte ich Giles nie heiraten dürfen. Und dieses Haus – und alles! Ich kann nicht mehr dahin zurück. Ach,

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