Ruhelos
sich zusammen auf den Weg zu ihrem Büro, nachdem Romer ihr erklärt hatte, er habe einen Termin bei Monsieur Frellon. Es war ein trüber Tag, der Himmel war von Wölkchen überzogen, nur ab und zu brach die Sonne durch; ein plötzlicher Windstoß zerrte an ihrem Rock und dem blauvioletten Halstuch. Als sie das kleine Café an der Ecke Rue de Varenne und Boulevard Raspail erreichten, schlug Romer eine Pause vor.
»Was wird aus Ihrem Termin?«
»Ich sagte, dass ich irgendwann am Vormittag vorbeikomme.«
»Aber ich komme zu spät«, wandte sie ein.
»Er wird nichts dagegen haben. Wir reden geschäftlich. Ich rufe ihn an.« Er ging zur Theke, um Telefonmünzen zu kaufen. Eva setzte sich ans Fenster und musterte ihn – nicht mit Abscheu, eher mit Neugier. Welches Spiel spielen Sie, Mr Lucas Romer?, dachte sie. Geht es um Sex mit mir oder um Geschäfte mit Frellon, Gonzales & Cie.? Wenn es um Sex ging, verschwendete er seine Zeit. Sie fand Lucas Romer nicht attraktiv. Zu viele Männer begehrten sie, während sie, im Gegenzug, nur sehr wenige begehrenswert fand. Das war der Preis, den die Schönheit manchmal forderte: Wir machen dich schön, entscheiden die Götter, aber zugleich sorgen wir dafür, dass du unglaublich schwer zufriedenzustellen bist. So früh am Morgen wollte sie nicht an ihre wenigen komplizierten und unglücklichen Liebesaffären denken, also nahm sie eine Zeitung vom Haken. Erotische Absichten schieden wohl doch aus, dachte sie sich – aber irgendetwas führte er im Schilde. Die Schlagzeilen handelten vom Spanischen Bürgerkrieg, dem Anschluss, Bucharins Hinrichtung in der Sowjetunion. Die Vokabeln starrten von Aggressivität: Aufrüstung, Territorium, Reparationen, Waffen, Drohungen, Warnungen, Krieg und zukünftige Kriege. Ja, dachte sie, er hat andere Absichten, aber sie musste abwarten, um herauszubekommen, welche es waren.
»Überhaupt kein Problem.« Er stand über ihr, auf seinem Gesicht spielte ein Lächeln. »Ich haben Ihnen Kaffee bestellt.«
Sie fragte nach M. Frellons Reaktion, und Romer versicherte ihr, M. Frellon sei hocherfreut gewesen über diese vielversprechende Begegnung. Der Kaffee kam, Romer lehnte sich entspannt zurück, tat reichlich Zucker in seinen express und rührte hingebungsvoll um. Eva musterte Romers dunkles Gesicht, als sie die Zeitung weghängte, seinen angeschmuddelten und knautschigen Kragen, seine schmale Krawatte. Was würde man in ihm vermuten? Einen Dozenten? Einen mäßig erfolgreichen Schriftsteller? Einen mittleren Beamten? Auf keinen Fall aber einen Schiffsmakler. Warum also saß sie mit diesem seltsamen Engländer in diesem Café, wenn sie nicht die geringste Lust dazu hatte? Sie beschloss, ihm auf den Zahn zu fühlen und über Kolja auszufragen.
»Seit wann kannten Sie Kolja?« Sie nahm eine Zigarette aus der Packung in ihrer Handtasche, ohne ihm eine anzubieten.
»Seit etwa einem Jahr. Wir trafen uns auf einer Party … Jemand feierte das Erscheinen eines Buches. Wir kamen ins Gespräch … Ich fand ihn sehr sympathisch …«
»Welches Buch war das?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
Sie setzte ihr Kreuzverhör fort – zu seinem wachsenden Vergnügen, wie sie nun bemerkte. Es machte ihm offensichtlich Spaß, und das ärgerte sie. Sie saß nicht zu ihrem Zeitvertreib hier oder zum Flirten – ihr Bruder war tot, und sie vermutete, dass Romer weit mehr über seinen Tod wusste, als er zuzugeben bereit war.
»Warum ist er zu der Kundgebung gegangen?«, fragte sie. »Action Française ausgerechnet! Kolja war doch kein Faschist!«
»Natürlich nicht.«
»Warum war er also dort?«
»Weil ich ihn darum gebeten hatte.«
Das war ein Schock für sie. Warum, fragte sie sich, hätte Lucas Romer Kolja Delektorski bitten sollen, zu einer Kundgebung der Action Française zu gehen, und warum, fragte sie sich weiter, hätte Kolja dieser Bitte entsprechen sollen? Aber sie fand keine schnelle oder einfache Antwort.
»Warum haben Sie ihn darum gebeten?«, fragte sie.
»Weil er für mich gearbeitet hat.«
Den ganzen Tag im Büro dachte Eva an Romer und seine verblüffenden Antworten. Nach der Behauptung, Kolja habe für ihn gearbeitet, hatte er abrupt das Gespräch beendet, in vorgebeugter Haltung, fest in ihre Augen blickend, womit er zu bekräftigen schien: Jawohl, Kolja hat für mich, Lucas Romer, gearbeitet. Er müsse jetzt gehen, sagte er unvermittelt, er habe Termine, meine Güte, es ist ja schon spät.
Nach Feierabend, während der Heimfahrt in der
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