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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Genosse Fischer. – Drushwili allerdings hatte er den Kopf zurechtgesetzt.
    Er sah den Alten um die Ecke der Markscheiderei biegen. Sein Gesicht war nachdenklich geworden. Er dachte: Natürlich hat er übertrieben. Ganz so einfach ist es nicht, schon gar nicht in Deutschland. Aber hat er nicht dennoch im Grunde recht?
     
    Christian Kleinschmidt setzte einen Türstock. Der Schwamm saß am Grubenholz, es roch nach Wald und nach Moder, wer |311| weiß, wie lange es in der Nässe gelagert hatte. Die Strecke herauf zog der kalte Wetterstrom. Es war naß hier, tropfte von der Firste, aus dem Gebälk, die Steine schwitzten. In der Ferne prallten Hunte aufeinander, ein harter Anprall, Geschwindigkeit gegen Masse, im Überhauen knatterte ein Pickhammer.
    Als Christian vor einem Jahr in den Bergbau gekommen war, in die Berge, hierher in den Süden, der, so hieß es, für seinen neuen Reichtum mit seiner alten landschaftlichen Schönheit bezahlte, ›verschandelte Landschaft‹, sagten die Gebirgsbewohner – da hatte er seine Zeit nach Tagen berechnet. Er hatte Kerben in seinen Nachtschemel geritzt und vom Tage der Ankunft an gezählt; alles vorher war unwirklich und unwesentlich geworden. Später hatte er seine Zeit nach Wochen bemessen, hatte von Sonntag zu Sonntag gelebt, von Atempause zu Atempause. Jetzt hatte er zu einem neuen Rhythmus gefunden, der eigentlich ein alter war: er lebte, wie er gelebt hatte, bevor er in die Berge gekommen war. Er lebte und arbeitete, und die Zeit verging. Seine Zeit hatte ein neues Gleichmaß. Es gab wenig Höhepunkte und wenig Tiefpunkte, die Arbeit im Schacht war selbstverständlich geworden, sie besaß eine gewisse Romantik und einen gewissen Sinn, aber sie hatte auch ihre Wiederholungen, ihre Alltäglichkeit. Zu einem Teil war Bermsthal Episode; er wußte, er würde, wenn seine Verpflichtung abgelaufen wäre, zurückkehren in die Stadt, zum eigentlichen Leben und zu seiner Zukunft, die dann erst beginnen würde. Zum anderen aber waren das Gebirge, die Arbeit und die Menschen hier ein Teil von ihm geworden, nicht mehr zu tilgen, er war ein anderer, als der er gekommen war.
    Im Tal unten, in der Papierfabrik, produzierte Ruth Fischer das Papier, das dann nach Norden gebracht wurde, über das Land und in die Hauptstadt, und als Zeitung zurückkehrte, auch auf den Rabenberg herauf. Sie lasen alle die gleichen Nachrichten – Christian Kleinschmidt, Ruth, |312| Nickel, Hermann Fischer, Zacharias, der Professor, der Dr. Jungandres und Peter Looses Stiefvater; nur Loose selbst nicht, er las keine Zeitungen. Aber die alte Mutter Selle und der Rechtsanwalt Pinselstein, Bierjesus und der schöne Fadenschein, das Mädchen Ingrid, zu dem Peter Loose nun nicht mehr ging, und die Leute in der Papierfabrik, der eifrige Mehlhorn mit dem Bäckergesicht und wahrscheinlich auch Gabi Reinhard in ihrer Apotheke und Roland Münz in seiner Klavierfabrik, sie alle erfuhren durch die Zeitung oder den Rundfunk Tag für Tag, was an wichtigen und unwichtigen Dingen geschah in der Welt, und selten nur geschah etwas, das den Einzelnen unmittelbar betraf. Meist schien es, daß der Einzelne das Eine, die Welt draußen aber ein Anderes sei.
    Der Sommer war vergangen, Christian hatte vom kleinen Pinselstein einen Brief bekommen. Der lud ihn zu einer Urlaubsfahrt ein. Pinselstein hatte ein großes Viermannzelt, wollte es an den märkischen Seen aufschlagen. Aber Christian hatte keinen Urlaub bekommen, er hatte Pinselstein abgesagt. Nach der Schicht und vor allem an den Sonntagen war er oft hinausgefahren an den Steingrüner Bergsee zum Baden, manchmal mit Peter Loose, mit Jan Seeliger und Paule Dextropur von ihrer Kapelle, manchmal mit seinem Fördermann Spieß und dessen Braut, die in der HO-Wismut arbeitete und Radieschen genannt wurde. An den Sonnabenden, außer in der Mittelschichtwoche, spielten sie im Jugendheim. Ferner hatte Christian in der benachbarten Kreisstadt eine gute öffentliche Bibliothek entdeckt, er las sehr viel. Die Zeit vergeht schnell, wenn man sie nicht ständig belauert.
    Da kam Hermann Fischer zu ihm. Er fragte, wie Christian zurechtkäme mit seinem Brigadier Seidel, mit der Arbeit, und ob er schon Pläne habe für die Zukunft. Christian antwortete ausweichend. Aber Fischer ließ nicht locker. Am nächsten Tag auf der Hängebank sprach er ihn wieder an. Da sagte Christian: »Das wissen Sie doch. Ich bleibe, bis meine Verpflichtung |313| abgelaufen ist und bis ich einen Studienplatz bekomme. Alt

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