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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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gelümmelt auf Wiesen, den Trunk sich hinter die Binde gießen. Wie es in dem Buche steht. Und ferner genügt’s nicht, achtzehn zu sein, das ist schon wahr. Hat ein gewisser Majakowski gesagt, der beging acht Wochen darauf Selbstmord. Und: jung nenn ich jenen unverzagt, der zur gelichteten Kampfschar der Alten – im Namen der Nachgeborenen sagt: Wir werden das Dasein neugestalten! Das ist schon wahr. Ist nur womöglich nicht die ganze Wahrheit. Und zwei Kriege überstanden zu haben, und das Zuchthaus überstanden zu haben, und die Verhöre, und das Lager, und nun so hierstehen zu müssen … Und das gute, das abgebrauchte, das große Wort, mit dem wir beginnen müssen, auch das Wort zieht die Blicke herauf: Kollegen …
    Aber womit denn beginnen, womit? Mit leeren Händen, und wo keiner dich kennt, Hermann Fischer – seht euch doch |619| um, seht euch an, die da in eurem Namen sprechen, sind denn das welche von uns? Ach, die Stimme trägt nicht weit. Drüben sind Stimmen, die tragen weiter, da knarrt der Kommandoton unterschwellig, gellt das Marschmarsch! Und was ist zu sagen gegen diese? Wie ist dem beizukommen, wie die anderen erreichen: Man kann doch nicht immer stumm sein? Einmal, das ist lange her, wollten sie dich mit Hunger auf die Knie zwingen, und mit Demütigung, und mit Arbeitslosigkeit. Und die Kälte schlug ins Herz, und die Not, und wie wir keuchten, und stolperten, und wie wir niederbrachen, geh, fall, kriech auf allen Vieren, und standen wieder auf, und taumelten, und gingen vorsichtig, und gingen wieder aufrecht, und laufen wieder! Die da nicht geizen mit ihrer Kraft, die ausgepreßt werden und gepeinigt, ist denn ein Wunder geschehn – die werden stärker? Ja, dies ist euer Vaterland, wir haben einen Anfang hingebaut, greift doch zur Kelle, nicht zum Messer, baut es doch weiter! Da schlägt die Brandung höher herauf, ja, es hören welche zu, ja, es horchen welche auf, und er hat das Gesicht des Jungen unten, das zuverlässige, das verzweifelte, das hilflose. Und sie kamen wieder. Kamen mit Stiefeln, kamen mit Faustschlägen, mit Verhören und Folter, und in den Gestapokellern kamen sie, da war der Tod dein Genosse, und wir sind niedergebrochen, und wo sie uns hertrieben vor ihren Gewehren, blieb unsere Blutspur zurück, und wir keuchten, wir krochen, wir lagen auf den Steinen Deutschlands und krallten uns ein in diese unsere Erde, tausend Gesichter hatte der Tod, und standen wieder auf, und taumelten, und gingen! Ist’s denn nicht euer Vaterland, für das wir gekämpft haben? Ist’s denn nicht unser Land, das sie uns wieder verwüsten, wenn wir stehen und zusehn, wenn wir ihnen nicht in den Arm fallen? Ach, wir wollten alle leben, und die nicht mehr unter uns sind, und die gefallen sind, sie wollten alle leben, und wir haben aus dem vollen gelebt, anders, als das Wort gilt bei denen, die da vor euch stehen, und die zerstören wollen, was ihr gebaut habt mit euren Händen. |620| Und sie sind immer wiedergekommen, immer sind sie wiedergekommen! Offene Gräber, Ruinen, noch einmal geht er um, der Tod, im zertretenen Gras, im Stacheldraht, im Scheinwerferstrahl – wißt ihr, wie weit die Welt und wie schön die Hoffnung ist, wenn das Blut in den Adern zu singen beginnt und dich zwingt, fortzuleben den mächtigen Schwung der Erde? Und der Haß saß tief, und der Schmerz, und die Müdigkeit. Da du heimkamst, da du den sinnlosen Tod begreifen mußtest des nächsten Menschen, vor der frischen Erde dieses Grabes, in diesem leeren Land, in dieser Kälte. Und die Worte, die nun leer waren, die toten Gedanken, und dieses Leben, das doch weiterging. Und das Mißtrauen noch, und rings die Lüge, kein Sieg ohne Opfer, kein Fußbreit Gewißheit ohne Niederlage. Immer gelebt an den Grenzen der Kraft, immer weiter, immer hin in der Richtung der Dinge, und zum Letzten hin, wo kein Grund mehr ist, und keine Wiederkehr. Und hast doch immer aufrecht gehen wollen, vorwärts. So gehn wir, und wie wir keuchen, und wie wir niederbrechen – geh, fall, kriech auf allen Vieren – und wie wir uns mühen, um wieder aufzustehen, zu taumeln, in die Knie zu brechen, zu keuchen erneut, und vorsichtig zu gehn, und aufrecht, und zu laufen! So stehen sie, so hören sie dich. Einige siehst du, die wissen die Richtung wie du, andere, die nicht mehr stumm sein wollen, manche, die zweifeln – aber du siehst auch andere. Und hast das Gesicht des Jungen dort, das zuverlässige, das zornige, das so vertraute.
    Und siehst doch schon

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