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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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dies andere. Wie sie heranziehen, den Keil, den sie treiben, Steckbriefgesicht, weiß schon, was sie vorhaben, sieht sie schon kommen, und dieses Gesicht immer, die Mörder sind unter uns, und kann nicht vorbei. Da steht ein alter Mann auf einem Stein, in einer fremden Stadt, auf einem fremden Platz, da stand ein alter Mann. Wie eine Mauer steht die Menge. Das steht, steht. Da stand ein alter Mann, Peter Loose, denkt Christian Kleinschmidt, wenn er jetzt hier wäre, wenn er bei uns wäre, er würde dich heraushauen, |621| und weiß nicht wie, und weiß: er würde es schaffen. Gegen die Menge geht er an, Christian Kleinschmidt, gegen die Mauer, mit Fäusten, starr, gelähmt, gepeitscht, stumm. Er schlägt blindlings um sich, trifft keinen Widerstand, plötzlich weicht die Mauer, aber er sieht nichts, aber er spürt nichts, aber es reißt ihn nur vorwärts und dorthin und weiter …
    Arbeiter umstanden ihn. Die Menge im Kreis, und keine Spur mehr, Eibteich, den sie Emmes nannten, keine Spur. Hermann Fischer lag hingestreckt am Fuß des Denkmals, der Kopf war vornübergesunken, friedlich. So lag er auf den Steinen dieser Stadt. Arbeiter umstanden ihn.
    Auf einem Mantel trugen sie ihn zum Rand des Platzes. Sie hoben eine Tür aus, so trugen sie ihn durch die Stadt. Aber sie fanden den ersten Arzt nicht in seiner Wohnung, auch nicht den zweiten. Der dritte konnte nur sagen: Es ist zu spät.
    Was bleibt, wenn ein Arbeiter stirbt? Seine Arbeit? Das, was er geschaffen hat? Aber dies habe ich gesehen: Da ist keiner, so arm er gewesen sein mag, der bei seinem Tode nicht etwas hinterläßt.
    Christian war bei ihm bis zuletzt. Der Arzt, obschon ohne Hoffnung, telefonierte nach einem Krankenwagen. Mit dem Krankenwagen fuhr Christian mit zur Klinik. Die Ärzte bemühten sich. Aber es blieb zu spät. Es blieb zu spät. Hermann Fischer starb in den Abendstunden. Da war der Aufstand niedergeschlagen, ein paar Versprengte nur noch, in einigen Städten. Da war ein letztes, schwaches Aufbäumen. Dann war es still. Der Arzt drückte dem toten Arbeiter die Augen zu. Er sah Christian nicht an. Der hatte keine Tränen.
     
    Ende des ersten Bandes.

|623| ANHANG

|675| Textvarianten

I Aus der letzten Fassung
    In der nachgelassenen letzten Fassung des Romans »Rummelplatz« gibt es zwei längere Episoden, die noch einmal an anderer Stelle leicht verändert erzählt werden. Werner Bräunig war sich offenbar unschlüssig, welcher Variante er den Vorzug geben sollte. Um der besseren Lesbarkeit willen, wurde jede Episode nur einmal im Romantext belassen (vgl. Editorische Notiz), die ausgesonderten Szenen sind im folgenden abgedruckt.

1 [Ruth Fischer]
    Ruth Fischer stand am Eingang des Speisesaales, dort standen viele. Drinnen waren die Tische abgeräumt, das Rednerpult aufgebaut, Präsidiumstisch mit rotem Tuch bespannt. Es hatte noch nicht angefangen. Schwarze Tafel neben der Essenausgabe: Donnerstag Rote Rüben, Freitag Nudeln, Sonnabend 14 Uhr Versammlung.
    Der Saal füllte sich langsam. Die Arbeiter kamen durch die Tür zur Maschinenhalle, die Angestellten durch die Tür zum Verwaltungsgebäude, die Küchenfrauen schoben die Schalterfenster hoch. Die Arbeiter schimpften, weil der Saal schlecht geheizt war. Zwar liefen hinter der Wandverkleidung die Heizrohre vom Kesselhaus zu den Papiermaschinen durch, aber Sonnabend nachmittag fuhr alles bloß noch mit halbem Dampf; zwei Maschinen waren schon abgestellt. Ruth Fischer setzte sich hinter Dörner, ihren Maschinenführer. Neben ihr saß der alte Zellner vom Holländersaal, den sie den Herrn Zebaoth nannten. Auch Hahner kam, der erste Gehilfe. Einige Arbeiter murrten, weil die Versammlung auf Sonnabend gesetzt worden war, in den großen |676| Schichtwechsel der Frühschicht. Hinten waren viele Stühle frei. Es kamen jetzt bloß noch ein paar Nachzügler, aber Kautsky, der neben dem Rednerpult saß, fing noch nicht an. Er stand auf, sagte etwas zu Jungandres, setzte sich dann wieder. Die Unruhe blieb im Saal.
    »Dann ist das also alles«, sagte Ruth zu Hahner. Sie hatten den ganzen Vormittag darüber gesprochen, während der Schicht, immer wenn ein bißchen Zeit war. »Dann kommt da also nichts mehr.« – »Natürlich«, sagte Hahner. »Was soll da noch kommen?« – »Ich weiß nicht«, sagte sie, »ich habe das ja auch nie geglaubt. Bloß, man hat eben nie darüber nachgedacht. Daß man einfach bloß ein Stück Natur ist, und Zellen und so. Und wenn man tot ist, dann ist das nichts weiter,

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