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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Schacht.«
    »Hm«, brummte Fischer. »Ich würde mir das überlegen an deiner Stelle. Du bist jetzt Bergmann. Du hast das Zeug dazu – findest dich schneller zurecht als andere. Warte noch ein, zwei Jährchen, dann kannst du auch bei uns studieren.«
    Und dann ließ er die Katze aus dem Sack. »Wir machen eine Jugendkomplexbrigade auf. Und wir schlagen dich als Brigadier vor. Die Leute suchen wir beide zusammen aus. Was meinst du?«
    Brigadier? Jugendbrigade? Das hieß den Kopf in die Schlinge stecken. Christian wußte: Jugendbrigade, das ist keine Brigade schlechthin, da kommt sofort die Politik ins Spiel. Zwei Drittel der Brigademitglieder mußten in der FDJ sein. Da gibt es wieder einen FDJ-Sekretär, politische Versammlungen und Agitation, Blauhemden und ›Bewußtseinsfragen‹. Und er wußte auch: dahinter würde nicht nur der Jugendverband stehen, sondern die Partei. Wenn Fischer sagte, ›wir‹ machen eine Jugendbrigade, dann hieß das, die Partei macht. »Nein«, sagte Christian. »Das ist nichts für mich.«
    »Ich will dir mal was sagen«, erklärte Fischer. »Dir paßt es nicht, daß du nicht sofort studieren konntest. Du weißt nicht genau, wer daran schuld ist – aber auf alle Fälle gehören die Partei und die Regierung dazu. Und nun …«
    »Nein«, sagte Christian. »Das habe ich nie gesagt. Sie machen es wie alle, die unterstellen einfach. Er war auf der Oberschule, also hat er etwas gegen den Staat. Bürgerliche Herkunft und so. Bei Ihnen wird man zum Menschen zweiten Grades einfach durch Herkunft oder Vererbung.«
    »Gesagt nicht«, meinte Fischer. »Aber vielleicht – gedacht?« Er ärgerte sich sofort darüber.
    Christian sagte: »Sie wissen doch sowieso alles besser, wozu sollen wir uns da noch unterhalten?«
    Fischer dachte: Ich kann ihm doch jetzt keinen Vortrag halten, weshalb es notwendig ist, die Arbeiterkinder, die bisher |314| immer benachteiligt waren, zuerst studieren zu lassen. Das muß er doch begriffen haben. In einem Arbeiterstaat muß er das doch begreifen. Soviel muß er doch gelernt haben auf seiner Schule. Er sagte: »Schön, aber irgend jemand muß doch daran schuld sein.«
    Christian sagte: »Wer hat denn die Welt so eingerichtet, wie sie ist? Ich vielleicht? Aber jetzt will es natürlich keiner gewesen sein. Jetzt kommen sie alle und geben Ratschläge. Jetzt wissen sie wieder ganz genau Bescheid. Da brauch’ einer bloß in die BGL gewählt zu werden, schon hat er eine Patentmeinung. Gestern hat er noch alles falsch gemacht, hat Heil geschrien bei den Nazis und Krieg gespielt und alles kaputtgemacht. Aber heute weiß er natürlich ganz genau, wie wir es machen müssen, und wehe, wir tanzen nicht nach seiner Pfeife. Lauter heimliche Kommunisten. Wo sind denn nun die Nazis hin? Wer hat denn den Krieg gemacht? Da ist keiner, der es gewesen sein will! Aber uns machen sie Vorschriften. Für wie dumm halten sie uns denn alle? Keiner ist für Hitler gewesen, keiner hat den Krieg gewollt, niemand hatte etwas gegen die Juden, niemand hat überhaupt nur etwas gewußt. Sie sind alle Patentengel gewesen, und heute wollen sie wieder Patentengel sein, und wehe, wer ihnen nicht glaubt! Und da verlangen sie noch, daß ich mich vor lauter Begeisterung auf den Kopf stelle! In der Schule war das genauso: Man braucht nur ›Bewußtsein‹ zu heucheln, schon klappt alles. Wer auf Bewußtsein macht, der kommt überall durch. Und Sie? Sie machen es genauso. Sie versprechen mir einen Studienplatz, wenn ich so tue, als ob.«
    »Quatsch«, sagte Fischer, »Grips allein genügt nicht. Wer studieren will, muß wissen, wo er hingehört. Und er muß das Wichtigste begriffen haben: Raus aus dem Dreck, arbeiten! Uns schenkt keiner was, wir müssen alles selber machen. – Du auch!«
    Christian blieb bei seinem Nein. Er dachte, damit habe sich die Sache erledigt. Der schöne Fadenschein sagte: »Mit dem |315| Fischer, da mußt du aufpassen. Das ist ein ganz Dunkelroter. Der war sogar im KZ.« Das hatte Christian nicht gewußt. Ob es stimmte? Sie taten ja beinahe alle, als seien sie im KZ gewesen. Aber Fischer hatte nie davon gesprochen. Schön, dachte Christian, vielleicht ist er eine Ausnahme. Aber was ändert das? Es ändert nichts, die Ausnahme bestätigt die Regel. Dennoch mußte er wider seinen Willen immer wieder über Hermann Fischer nachdenken. Der Parteisekretär entsprach in mancher Hinsicht genau der Vorstellung, die Christian von einem Funktionär hatte – er agitierte, suchte zu

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