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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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konnte ein Schloß kaufen, wie die anderen. Das ärgerte ihn sogar am meisten. Und hätte dabei gar nicht sagen können, warum.

    |58| Anderntags, nach der Schicht, als es in Strömen regnete, riß einer die Zimmertür auf und schrie: »Es gibt Bratheringe!« Den kannte Loose schon: Er hieß Titte Klammergass und war Kipperfahrer. Er ging von Tür zu Tür mit dieser Nachricht.
    Sie gingen gleich los, die Gummijacken über den Kopf gezogen.
    Die Bratheringe gab es in einem Seitenraum der Küchenbaracke, der als Verkaufsraum diente. Die Kumpel kamen von allen Seiten. Loose sah zum erstenmal richtig, wie viele Menschen in diesem Lager lebten. Der Lagerverwalter stand vor dem Eingang und schrie: »Seid doch vernünftig, es ist für alle da! Wir rufen barackenweise auf!« Darauf wollte sich aber niemand einlassen. Erst als die Verkäuferin herauskam, rührten sie sich. Die Krawoleit war eine Frau von vierzig, sie war aus Ostpreußen und hatte das Lager mit aufgebaut, sie war länger da als alle. »Also macht ihr nun, oder macht ihr nicht«, sagte die Krawoleit. Und: Daß sie lieber ihr Öfchen anpäsern sollten und sich den Hintern wärmen, statt bloß so rumzustehen bei diesem Mistwetter. Sie stand massig in der Tür, hatte die Arme in die Hüften gestemmt, also: Wo sie recht hat, hat sie recht.
    Erst kam die Baracke drei, dann die vier, da hatten sie Zeit bis vierundzwanzig. Sie gingen in die Küchenbaracke, da gab es ein Radio. Aber das Radio war kaputt, das erfuhren sie von den anderen, die schon da waren. Der dicke Mehlhorn kam zu ihnen und sagte: »Hol doch deine Gitarre, spiel einen.«
    Loose sagte: »Wenn du sie holst …« Da war der dicke Mehlhorn schon unterwegs.
    Schachtzimmermann Müller sagte: »Wie der auf einmal laufen kann!«
    Dieser Müller war ein merkwürdiger Vogel. Wenn die einen auf die Politik schimpften, schimpfte er mit, er schimpfte aber auch mit den Politischen mit, man wurde nicht schlau aus ihm. Er war Tischlergeselle in einem Dorf in der Börde |59| gewesen, und er hatte bei einem Großbauern gewohnt, der immer mit dem Ablieferungssoll in Verzug war und geizig bis dahinaus. Der Tischler hatte erzählt, wie der Bauer den Leuten aus der Stadt Radios und Teppiche abnahm für ein paar Sack Kartoffeln, er schacherte ihnen das Blaue aus dem Auge. Aber einmal war er hereingelegt worden. Da war ein Lkw auf den Hof gefahren, heraus stieg der Ablieferungs-Bevollmächtigte, der hatte einen Offizier von der sowjetischen Kommandantur dabei und ein paar Mann. Nu, wieviel du Hühner? fragte der Offizier. Vierzig, sagte der Großbauer. Und nachzählen sollten sie mal selber, das Viehzeug bekämen sie nie im Leben zusammen, das gackerte bunt durcheinander in Haus, Hof, Wiesen, Ställen, Scheuern. Aber der Offizier hatte seinen Leuten einen Wink gegeben, die hatten auf einmal alle Taschen voll Gerste, die streuten sie aus: Putputputput! Und es strömte herbei, gackerte, pickte, krähte und scharrte, gut hundert an der Zahl versammelten sich des Großbauern Leghorn- und Italienerhühner, Rhodeländer und Wyandotten, die fleißigen Eierleger und stolzen Bespringer, die braven Glucken und fetten Kapaune, und mußten nur noch abgezählt werden, vierzig nach links, der Rest auf den Lastwagen. Eitel Freude herrschte auf dem Hühnerhof, alles glänzte vor Vergnügen, der Offizier gab’s schriftlich. Und das war mal ein Spaß, hatte der Schachtzimmermann gesagt, das erzählen die Leute heute noch.
    Je nun. Und so einem geschah das ganz recht. Aber was soll uns das alles?
    Loose sah zu Kleinschmidt hin, der schon wieder am Einschlafen war: Er konnte noch immer nicht begreifen, was der im Schacht verloren hatte. Er setzte irgendeine unbestimmte Hoffnung in den Mann. Es gab dafür keinen Namen. Es war nur ein unklarer Gedanke, oder es war nicht mal das. Er spürte aber, daß alles mit ihm zu tun hatte, all das hier, und alles an dem da. Er hatte das schon gespürt, als sie in dieses Lager eingezogen waren, und er hätte einiges dafür gegeben, |60| hätte er erfahren können, was in diesem Kleinschmidt jetzt vorging.
    Der war aber ganz anderswo, die Geräusche waren weit weg, er hatte bloß den Wunsch, hier sitzen zu bleiben und nie wieder aufzustehen. Vielleicht saß er daheim in seinem Zimmer. Natürlich war er dort. Er hatte ja oft so gesessen über einem Buch, und war darüber eingeschlafen, und wußte noch genau, was darin vorgekommen war. Sie hatten also den Mehlhorn zum FDJ-Gruppenleiter der Baracke gewählt,

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