Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
die Niederlande, wo er begraben liegt. Hingegen lebt sein Sohn. |65| Der bekam Schloß Cäcilienhof zurück 1923, dort fand die Potsdamer Konferenz statt 1945, Stalin und die anderen. Obergärige Schulstunden, das weiß man noch: Kurfürst Friedrich der Dritte wurde im Jahre 1701 zum König Friedrich dem Ersten in Preußen gekrönt, in und nicht von, weil Ostpreußen nämlich polnisch war damals. Also Nickel. Also wiederhol mal. Dann lieber Friedrich II. oder der Große, Sohn Friedrich Wilhelms des Ersten oder Soldatenkönigs. Führte die Schlesischen Kriege, welche zur ersten und zweiten polnischen Teilung führten, schlug die Schlachten bei Roßbach und Leuthen und wurde geschlagen bei Kunersdorf. Der also, und auch in Sachsen fiel er ein, und ist mal befreundet gewesen, der Alte Fritz also, mit diesem Franzosen, und hat halt französisch gesprochen und die Flöte gespielt; deutsch gesprochen wurde damals vorwiegend in Weimar. Die Schlacht bei Fehrbellin hingegen, die schlug er nicht. Die hatte bereits der Große Kurfürst geschlagen, der auch den Westfälischen Frieden schloß. Das wolln wir mal festhalten. Das reicht ungeheuer zurück.
    Und nichts natürlich von den Achtundvierzigern und vom November achtzehn, Marstall nichts und Landwehrkanal, auch nichts vom Reichstag, dessen Ruine zu besichtigen ist lindenabwärts.

    Ringsum reden sie.
    Die Linden sind abgeholzt.
    Ein schmutziges Laken hängt an den Zinnen der Schloßruine: Der Himmel.
    Und Nickel sang nun doch mit, ohne die Lippen zu öffnen, stumm, merkte auch nichts, hatte nur solche Erinnerungen. Wie er heimgekommen war, kahlgeschoren, und fand die Straße noch, fand das Haus nicht mehr, ein Haufen Schutt, ein Mauerrest, fand keinen, der ihm Auskunft gab, kein Freund, keine Mädchen, keine Antwort. Irrte umher, tagelang, Tausende irrten umher. Der schwarze Markt stieß ihn |66| aus, Bunkernächte blieben. Fand aber doch eine Spur, fand die Laube am Stadtrand, Bahndamm in Köpenick, Bodensenke, darin sammelte sich aller Nebel der Mark Brandenburg. Die Mutter lebte. Von Brennesseln und Löwenzahn. Er ging auf den Bau, er putzte Ziegel. Aber was ist einer schon für ein Arbeiter mit so einer Hand. Seinen früheren Meister suchte er und fand die Werkstatt, aber was ist einer schon für ein Schuhbesohler mit nichts und für nichts und wieder nichts. Er saß am Bahndamm, zupfte Unkraut, zählte Kartoffelstauden; eines Morgens, als er sie ausnehmen wollte, waren sie dennoch fort. Alles, hatte Fritze Coburger gesagt, bloß ums Verrecken nicht das hier. Fritze Coburger bewohnte die Laube nebenan. Mit ihm war er gegangen, kleine Tauschgeschäfte, kleine Gelegenheitsgeschichten. Drei Wochen lang, dann hatten sie ihn geschnappt. Nichts Besonderes weiter, nur die Ware, die Stange Zigaretten, das Tauschkapital, das war weg. Der Schreck saß ihm so in den Knochen, daß nicht mal die Wut ihn mehr hochtrieb. Da war ein Mann draußen am Stadtrand, der las ihn auf. Da war ein Bauer, der gab ihm Arbeit.
    Im Frühjahr kamen welche, die sagten: Schön blöd, Mann! Bissel Essen und vier Mark – noch nie was von Tariflöhnen gehört? Er hatte aber nicht den Mut, sich mit dem Bauern anzulegen. Er war froh, daß er untergekommen war. Er schwieg. Nur manchmal, am Sonntagabend, wenn nichts mehr zu tun war, da ging er doch hin zu denen. Die hießen Antifa-Jugend, die hatten einen Raum ausgebaut im ausgebrannten Volkshaus, sie nahmen ihn auf ohne viel Worte. Er blieb lange fremd unter ihnen. Bis er herausfand, daß sie nicht nur so redeten, sondern ihm helfen wollten, nicht mal um seinetwillen; sie wollten einfach alles anders machen. Da ging er zu seinem Bauern und verlangte, ungeübt noch, das seine. Der Bauer verdoppelte den Lohn. Es war noch immer nicht die Hälfte von dem, was ihm zustand. Als die Ernte begann, forderte er wieder. Der Bauer sagte aber nun: Treib’s |67| nicht auf die Spitze, mit deiner Hand, was bist du mir schon für ein Arbeiter. Und warten solle er bis nach der Ernte, da wolle er weitersehen. In der Antifa-Jugend sagten sie ihm: Laß ihn doch, den Kulaken. Und wir hätten vielleicht was für dich. Er sagte erst, daß das überlegt sein müsse, aber er hatte im Grunde schon zugesagt. Er wurde Angestellter in einer Lebensmittelkartenstelle. Dann wurde er Sachbearbeiter in einem Berliner Bezirksarbeitsamt. Er besuchte Versammlungen und Schulungen, nie schloß er sich aus. Die anderen fragten ihn, ob er nicht auch den nächsten Schritt tun wolle, und er tat ihn.

Weitere Kostenlose Bücher