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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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wenigen, die darum wußten. Atomenergie – das war Leben oder Tod. Die Welt hatte Hiroshima erlebt. – Fischer sah den morgigen Sonntag unter einem Berg von Kleinarbeit versinken, er war müde, sehr müde, er war in den letzten vierzehn Tagen kaum aus den Stiefeln gekommen.
    Aus dem Lager klang das Scheppern der Kaffeekannen herüber, das Schlurfen von Gummistiefeln auf den Holzstufen vor den Baracken, die Kumpel der Frühschicht holten sich ihren Kaffee aus der Küche. Fischer sah noch einmal zu den Neuen hinüber, er konnte die Gesichter jetzt unterscheiden, und er dachte einen Augenblick lang: Was mag in diesen Köpfen stecken, hinter den gesenkten Stirnen, unter diesen Schöpfen? Dann drehte er sich um und ging ins Lager zurück. Aus den Schornsteinen sickerte Rauch, einige Kumpel hatten die Fenster geöffnet und ließen die Morgenluft ins Zimmer. Er ging an dem grünen Lattenzaun entlang, der das Schachtgelände vom Lager abgrenzte, grüßte den sowjetischen Posten, der aus dem Luk des hölzernen Wachturmes herabsah; ein junger, vielleicht neunzehn-, vielleicht zwanzigjähriger Bursche, der sich offensichtlich langweilte in seinem Bretterverschlag. Er betrat schließlich die Aufnahmebaracke, das langweiligste von diesen dreißig Holzhäusern.
    Der Lagerverwalter saß im Schreibzimmer und schnitzelte an einem Bleistift. Er sah kaum auf, als Fischer eintrat. Er schob seine Kladde zurecht und fragte: »Wieviel?«
    »Vierzig ungefähr«, sagte Fischer.
    Dann ging er zum Telefon und ließ sich mit dem sowjetischen Schachtleiter verbinden. Polotnikow konnte man zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen, auf eine geheimnisvolle |13| Weise brachte er es fertig, immer erreichbar zu sein. Er war im Krieg Panzeroffizier gewesen, er war in seinem T34 von Moskau bis nach Berlin gerollt, über die Wolga, über die Weichsel und über die Oder. Er verhielt sich gegenüber den deutschen Kumpels zurückhaltend, fast mißtrauisch, auch gegenüber den deutschen Genossen. In Polotnikows Arbeitszimmer roch es immer ein wenig nach Wodka, und der Schachtleiter sagte: »Polotnikow säuft wie eine Schwadron Dragoner und verträgt sogar Salpetersäure.« Jedenfalls brachte er es fertig, zwanzig Stunden am Tag zu arbeiten.
    Fischer informierte ihn über die Ankunft der Neuen.
    »Vierzig?« sagte Polotnikow. »Kann ich Ihnen genau sagen: achtunddreißig. Suchen Sie sich fünfzehn aus für die Mittelschicht.«
    Während sie sprachen, sammelten sich die Neuen draußen vor der Baracke. Fischer konnte sie durch das Fenster sehen. Sie stellten ihre Koffer und Bündel ab, einige drehten sich Zigaretten, manche standen in Grüppchen beieinander. Die meisten hockten auf ihren Koffern und starrten vor sich hin. Viele waren noch sehr jung.
    Fischer sah dicht am Fenster ein mageres, höchstens achtzehnjähriges Kerlchen auf einem Bündel hocken, und er dachte: Du lieber Himmel, das neue Deutschland fängt glanzvoll an! Sah aus, als würde er im nächsten Augenblick aus den Pantinen kippen. Und das wird er auch, dachte Fischer. Dreißig Fahrten runter, dreißig rauf, hundertachtzig Meter, und das jeden Tag, und ohne Bohrstütze bohren, und Doppelschichten, und Hunte sacken ohne Sohle … Er sah sie stehen, mit ihren Wehrmachtsrucksäcken, mit den grauen Holzkoffern aus der Kriegsgefangenschaft, er sah Zwei-, Drei- und Vierundzwanzigjährige mit den unruhigen, mißtrauischen, wachsamen Augen heimatloser Flüchtlinge, und nur hier und da ein ruhiges Gesicht, nur hier und da ein sicherer Blick. Viele von ihnen waren erwachsen, ohne eine Chance gehabt zu haben, jemals jung zu sein.
    |14| Der Lagerverwalter war hinausgegangen und erklärte ihnen in seiner mürrischen Redeweise, was in den nächsten Minuten und Stunden geschehen würde.

    Christian Kleinschmidt dachte: Das ist also die Wismut. Baracken, Dreck, hölzerne Fördertürme, die wenig vertrauenerweckend aussahen, nochmals Dreck und dieses zerknitterte Männlein, das beim Sprechen kaum die Lippen auseinanderbrachte. Das Männlein nuschelte etwas von Einweisung, Essentalons, Wolldecken und Küchenzeiten. Es stand erhaben wie der Evangelist Markus bei der Bekanntgabe der Abfütterung der fünftausend. Er aber, Christian Kleinschmidt, er pfiff auf Evangelien. Auf das von der guten und ausreichenden Ernährung – bei ausreichender Arbeit, versteht sich – besonders. Er dachte: Hier stehst du, Abitur in der Tasche, und diesen Brief, der deine Immatrikulation auf unbestimmte Zeit verschiebt, zum Trost

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