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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Vierkantmeißel den Berg. Christian hockte am Stoß, vor seinen Knien brach das Erz nieder und häufte sich, die Luft donnerte von den Wänden wider, das Wasser schmatzte. Das kam, weil die angesaugte Luft im Kompressor zu feucht war. Aber unablässig fraß sich die Stahlspitze tiefer, unablässig wich der Berg zurück. Nach und nach vergaß Christian alles um sich her.
    Die Arbeit überkam ihn wie ein Rausch, plötzlich und ungeheuer. Er setzte den Meißel an und stemmte ihn mit aller Kraft in den Berg, der Druck der Preßluft schüttelte seinen Körper, der Rückschlag lief wie ein Schauder durchs Fleisch und spannte die Muskeln. Christian spürte den Rhythmus dieser Arbeit. Nun gab der Berg seine Geheimnisse preis. Christian begriff, wie der geringste Spalt zu nutzen war, der winzigste Vorsprung. Er setzte den Hammer von unten an und lernte, das Knie als Hebel einzusetzen. Er drückte den Hammer von oben in den Fels und lernte, sein Körpergewicht |116| zu nutzen. Er jagte den Meißel seitlich ins Gestein und begriff plötzlich, welche Spannkraft in einer Armbeuge wohnt, wenn man den Oberarm an den Körper preßt und den Druck abwinkelt. Er kniete am Stoß, den Spann des linken Fußes an den Boden gepreßt, er ließ den Hammer über den rechten Oberschenkel laufen. Dann wechselte er den Stützfuß, ruhte Fußgelenk und Schenkel aus, klemmte sich mit der Schulter hinter den Hammer. Er begriff die Mechanik seines Körpers, begriff den Wechsel von Ruhe und Anstrengung, den Austausch von Spannung und Reserve. Er verlagerte die Belastung systematisch und verausgabte sich nicht. Er ordnete sich einem Rhythmus ein, den er nicht erfunden hatte, der in ihm war, oder zwischen ihm und dem Berg und der Maschine.
    Er arbeitete.
    Hätte er sein Gesicht sehen können, er hätte ihm weder die Erregung geglaubt noch die Gelöstheit. Er hätte die Konzentration nicht geglaubt, die Spannung nicht, und schon gar nicht die Freude. Der Schweiß lief ihm übers Gesicht, der Hemdrücken war durchnäßt, er arbeitete, als könne er nie müde werden und als gäbe es keine Erschöpfung. Er fühlte sich imstande, den Berg zu besiegen, fertig zu werden mit dieser Arbeit und mit jeder; in der tiefsten Anspannung fühlte er sich entspannt.
    Also arbeitete er. Und spürte den Berg nicht mehr und die Dunkelheit nicht und nicht die Einsamkeit. Er war ein Anderer. Die Fremdheit war in sich selbst zurückgefallen für diese Nacht, er war eins mit sich und den Dingen ringsum, er war er. Aber einmal hielt er inne, als er hinter sich jemand sprechen hörte.
    Zwei- oder dreimal hatte er ihn gesehen im Revier, wußte zwar den Namen nicht, dachte aber gleich: Aljoscha. Das ist der, zu dem der Radiometrist hinwollte. Das ist er also, der von nebenan.
    »Slusch«, sagte Aljoscha. »Prassnij, ich nix mehr Erz.« Die Uniformbluse stand ihm offen bis zum Gürtel, er kam hereingerutscht |117| auf Christians Erzplatz und griente. Rundes Gesicht unterm Helm, unterm Rund der Kopflampe. Hinter sich zurrte er seinen Luftschlauch, den Hammer angeschlossen, der blaffte. Er zählte die leeren Erzkisten und griente noch immer. »Nu tak, wir zusammen, charascho?«
    »Charascho«, sagte Christian.
    Zum Wundern war nicht die Zeit.
    Dann waren sie am Berg. Christian arbeitete über der Rolle, Aljoscha rechts neben ihm, drei Meter vielleicht, und immer aufwärts. Und wieder stieß der Meißel in den Berg, brach das Erz nieder, häufte sich. Manchmal arbeiteten sie einander zu, manchmal voneinander weg. Christian sah, daß Aljoscha schneller vorankam, daß sein Vorsprung zunahm, aber er gab nicht nach. Aus zwei Hämmern donnerte jetzt die Luft gegen den Berg, hallte wider in dem engen Überhauen und brach sich. Nichts war zu hören sonst und nichts zu verstehen. Die Luft dröhnte.
    Dann zerrten sie Kisten heran und packten Erz. Christian sah die vollen Kisten neben den leeren, und plötzlich spürte er das Verlangen, den Stapel der vollen Kisten wachsen zu sehen. Er klopfte die Erzplane ab. Er ging wieder an den Berg.
    Und entdeckte jetzt auch hier die Magie des Abnehmenden und Zunehmenden: er sah den Berg zurückweichen, der Erzhaufen wuchs. Ein freier Raum entstand, den es nie vorher gegeben hatte. Da hatten sie Höhlen gebaut als Kinder, und waren hineingekrochen, und hatten sich einen Platz geschaffen und ein Dach überm Kopf für ihre Spiele, die alle den größeren Spielen der Erwachsenen abgeguckt waren – so war das auch hier. Noch lagerte die Ader, aber Christian

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