Rune der Knechtschaft
Galeerensträfling sprang von Bord, um es ans Ufer zu ziehen.
Der Mann hatte sehr schwarze Haare und Augen. Arekh kannte seinen Namen nicht; er hatte nie den Klang seiner Stimme gehört. Sie waren gemeinsam an Bord der Galeere gekommen, das war alles.
Als er sich wieder aufrichtete, musterte der Mann die vier Insassen des Boots. Die beiden Frauen, Arekh und den ganz jungen Gefangenen, der sich mühsam aufsetzte, als sei er erstaunt, am Leben zu sein.
Der Blick des Sträflings am Ufer ruhte auf einer Kette aus Silber und Perlen, die durch einen Riss im hochgeschlossenen Hemd des braunhaarigen Mädchens zu sehen war.
»Ich werde nicht lange säumen«, sagte er schließlich.
Seine Stimme klang wohlerzogen, ohne irgendeine Besonderheit, die seine gesellschaftliche Stellung hätte verraten können. Er könnte so gut wie jeder sein: ein schreibkundiger Handwerker, der seinen Meister bestohlen hatte, ein für eine Unterschlagung verurteilter Bürger, ein Edelmann,
der irgendeine Schandtat begangen hatte, nach der die Männer seines Standes es leid geworden waren, ihn weiter zu decken …
Die Frau in Grau stand auf, wie um ihre Herrin vor einem möglichen Angriff zu beschützen.
Aber der Galeerensträfling verneigte sich nur. »Danke. Und viel Glück!«
Er entfernte sich den Strand entlang und verschwand dann am Horizont.
Die Frauen stiegen aus dem Boot und sahen sich um.
Keine Menschenseele in Sicht.
Die kleine Bucht war von felsigen Hügeln umschlossen, so grau wie die Kiesel, auf denen sie standen; große Bäume wuchsen zwischen den Steinen.
Es war fast vollkommen still.
Arekh wusste, wie sehr dieser Eindruck von Einsamkeit täuschen konnte. Weiter im Westen gab es Dörfer - und Rez war auch nicht besonders weit entfernt.
Wenn er überleben wollte, gab es nur eine Lösung: fliehen, und zwar schnell. Die beiden Frauen und den Jungen hier zurücklassen. Einem Bauern die Kehle durchschneiden, seine Kleider stehlen, sich in die nächstbeste Stadt begeben, um den Dolch des Mädchens zu verkaufen … nicht »des Mädchens« , verbesserte er sich mit einem unerklärlichen Anflug von Abscheu, der »Erbin der Magierkönige von Harabec« , die tropfnass auf dem Kies stand und sich den breiten Gürtel ihrer Wickelhosen neu band.
In den Griff des Dolchs war ein Sonnenstein eingelassen. Die Waffe war weit davon entfernt, ein Vermögen wert zu sein, aber sie würde es Arekh gestatten, ein Maultier und etwas Proviant zu kaufen.
Und dann …
»Wohin gehen wir?«, fragte die Frau in Grau.
»Ich weiß es nicht«, sagte das Mädchen und wandte sich Arekh zu. »Kennt Ihr die Gegend?«
Arekh musterte sie. »Habt Ihr vor, nach Harabec zurückzukehren, Marikani?«
Das Gesicht der jungen Frau erstarrte einen Herzschlag lang. Fast sofort gewann sie die Beherrschung zurück. Die Hofdame wandte den Blick mit resignierter Miene ab.
Sie denkt, dass ihre Herrin uns lieber hätte krepieren lassen sollen, und hat damit nicht unrecht … Was ist ihr nur Törichtes durch den Sinn gegangen?
Das Mädchen ergriff wieder das Wort. »So ist es. Wenn Ihr uns einen Rat geben könnt, zögert nicht, Nde …?«
»Arekh.«
»Möge Lâ Euch gnädig sein, Arekh«, sagte Marikani zum Gruß.
Sie hob den Blick zu den Hügeln. Sie hatte noch nicht einmal zu leugnen versucht. Arekh musterte sie mit einem gewissen Hass, fast überrascht von seinem eigenen Scharfsinn. Also war sie es wirklich. Seltsamerweise hatte er daran nie gezweifelt. Er war felsenfest davon überzeugt gewesen. Hätte er überrascht sein müssen? Es hätte ihn wohl erstaunen sollen, mit einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Königreiche am Strand zu stehen, mit einer Prinzessin von dunklem Blut, die von den Göttern abstammte und Erbin einer der wichtigsten politischen Mächte des Südens war.
Aber nein. Arekh spürte nichts als gewaltige Erschöpfung und eine Art innerlicher Mattigkeit. Alles war so schön gewesen, als er über den See gerudert war. Alles war möglich und neu gewesen.
Jetzt nicht mehr.
»Marikani?«, wiederholte der Junge, der auf einem Felsen saß.
Arekh hatte seine Existenz vergessen - und doch war der Jugendliche, den er gerettet hatte, da. Sein Gesicht war immer noch sehr blass. Die Sträflingskleider waren ihm zu groß. Er konnte nicht älter als dreizehn Jahre sein. Das flachsblonde Haar fiel ihm ins Gesicht.
»Gibt es nicht irgendeine Königin, die …?«, begann er. Mit offenem Mund hielt er inne. Dann starrte er reglos mit weit
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