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Runen

Runen

Titel: Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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westlich der Azoren. Die U-705 und U-706 traf dasselbe Schicksal in der Biskaya nördlich von Spanien. Wasserbomben zerstörten die U-701 vor der nordamerikanischen Küste, während die U-702 in der Nordsee auf eine Treibmine aufgelaufen war. Die U-703 schließlich war im Seegebiet nordöstlich von Island verschwunden.
    Die Fotografie, die Höskuldur mehr als ein halbes Jahrhundert bei sich gehabt hatte, war vor einem dieser neun U-Boote aufgenommen worden. Abervorwelchem? Wann? Und wo?
    Weitere Fragen tauchten auf: Wer waren die Uniformierten auf dem Bild? Welche Position hatten sie inne? Und schließlich: Weswegen bewahrte ihr Großvater dieses Bild in seinem Notizbuch auf? Was für eine Bedeutung hatte es für ihn ganz privat und persönlich gehabt?
    Melkorka rief abermals bei ihrem ehemaligen Dozenten an und fragte ihn um Rat.
    »Du solltest dich an ausländische Fachleute wenden, die sich auf die Militärgeschichte des Dritten Reiches spezialisiert haben«, riet er ihr nach kurzem Nachdenken.
    »Wen kannst du mir da empfehlen?«
    »Mir fällt als erster der amerikanische Wissenschaftler Robert M. Houston ein. Er ist Professor für Neuere Geschichte |50| an der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg. Er hat jede Menge Artikel und Bücher zum Thema geschrieben. Darunter dicke Wälzer über den Reichsführer-SS Heinrich Himmler und den Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine Karl Dönitz, der Befehlshaber der U-Bootflotte war und später dann Hitlers Nachfolger wurde, als der im Frühjahr 1945 in Berlin Selbstmord verübt hatte.«
    Ohne weiter darüber nachzudenken, besorgte sich Melkorka die E-Mail-Adresse des Professors über die Website der Universität, schrieb ihm eilig eine Nachricht auf Englisch, in der sie eine Frage zu dem U-Boot stellte, und fügte das Foto als Anhang bei.
    Gerade als sie die Nachricht abschicken wollte, fiel ihr noch eine weitere Frage an den Professor ein:
    PS: Ist es möglich, anhand der Listen des Dritten Reiches herauszufinden, ob es bei Ahnenerbe-SS einen H. Steingrim gegeben hat?
    Melkorka konnte nicht ahnen, dass diese hastig hingeschriebene und unüberlegte Anfrage weitreichende Folgen haben würde.
    |51| 12
    Sonnenbeschienene Weite des Ozeans breitete sich vor Melkorka aus, als sie aus dem Fenster des Bücher- und Arbeitszimmers von Beinteinn Marteinsson blickte. Der Dichter benannte sich selbst nach einem verlassenen Gehöft namens Hvíthöfði. Es gab viele solcher aufgegebener Einzelhöfe im Fjord Jökulfirðir in Islands Nordwesten. Jahrhundertelang war dort eines der abgelegensten Siedlungsgebiete des Landes gewesen. Heute dagegen war es nahezu komplett unbewohnt.
    »Dort, jenseits des Horizonts liegen die Frostwelten von Ginnungagap, von denen unsere Vorväter erzählten«, sagte der betagte Mann und lehnte sich in seinem bequemen, am Fenster stehenden Sessel zurück. »Wenn du dich im Vogelflug gen Westen begibst, trägt dich der Wind zuerst nach Grönland, dann ins Baffinland und in andere Gefilde Kanadas und schließlich in das ewige Eis Sibiriens. Die Regionen des ewigen Eises rund um den Nordpol sind die kalten Welten, die die Dichter der Edda zur Heimat der Reifriesen erklärten.«
    Beinteinn, dem ein knappes Jahr zum achten Lebensjahrzehnt fehlte und der allein im obersten Stockwerk eines neugebauten Mehrfamilienhauses im Westteil der Halbinsel Álftanes südlich von Reykjavík wohnte, war an Händen und Wangen außergewöhnlich hager und knochig. |52| Sein schulterlanges Haar war im Alter fast weiß geworden, wie auch sein Kinnbart. Doch trotz seines hohen Alters blitzte in seinen blauen Augen immer wieder eine unerwartete Lebendigkeit auf.
    Er betrachtete Melkorka ausgiebig und verbarg nicht, dass sie ihm gefiel.
    »Setz dich nicht gleich hin«, sagte er, als sie sich vom Fenster abwandte, um auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch des Dichters Platz zu nehmen. »Junge und attraktive Mädchen kommen mittlerweile leider nur mehr selten zu mir. Gewähre mir die Gunst des Genusses, dich dort am Fenster noch um ein wenig länger stehen zu sehen. Du erinnerst mich an einen verwichenen Jugendtraum, der unerwartet wieder ins Leben fand, so wie es mitunter zu übernatürlicher Stunde geschieht, da die Zeit zögert und alles möglich ist.«
    Melkorka lächelte.
    »Du kannst mich jede Woche an ein paar Abenden im Fernsehen sehen«, entgegnete sie und ließ sich auf dem Stuhl nieder.
    »Alles im Fernsehen ist Trug«, erwiderte Beinteinn. »Dort wird eine Kunstwelt

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