Runen
Hände, und dabei tauchten einige Fragen auf, auf die ich gerne eine Antwort hätte.«
»Haben Sie noch weitere Informationen dieser Art?«
»Ich habe ein Notizbuch, das möglicherweise mit H. Steingrim zu tun haben könnte.«
»Möglicherweise? Sie sind nicht sicher?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Das Buch ist in einer Art Geheimsprache verfasst.«
»Was für eine Geheimsprache?«
»Sie könnte auf einem Runenalphabet beruhen.«
»Ja natürlich«, entgegnete der Professor. »Ich habe genau den Eindruck gewonnen, dass H. Steingrim Spezialist war für alles, was mit Runen zu tun hat. Darf ich wohl dieses Notizbuch untersuchen?«
»Wozu?«
»Ich könnte Ihnen helfen, die Geheimsprache zu entschlüsseln«, antwortete Houston und legte deutlich mehr Nachdruck in seine Stimme. »Wie wäre es, wenn Sie mir per Mail einen Scan von ein paar Seiten schicken würden?«
Melkorka dachte über diese Bitte eine Weile nach.
»Ich könnte Ihnen ja mal eine Seite schicken«, entschied |60| sie schließlich. »Aber nur, wenn Sie mir alles erzählen, was Sie über H. Steingrim wissen.«
»Ist das dann also eine Vereinbarung zwischen uns?«
»Ja, das ist es.«
Robert M. Houston räusperte sich.
»Die frühesten Hinweise, die ich zu H. Steingrim gefunden habe, gehen auf den Dezember 1939 zurück. Zu der Zeit war er als Freiwilliger im sogenannten Winterkrieg in Finnland verzeichnet. Er gehörte zu einer schwedisch-norwegischen Truppe, die im Winter 1939/40 an der Seite finnischer Soldaten gegen die sowjetischen Invasoren kämpfte. Etwa ein Jahr später, im Herbst 1940, wird sein Name in einem Bericht der SS-Abteilung Ahnenerbe erwähnt. Die darauffolgenden zwei Jahre taucht H. Steingrim in diversen deutschen Berichten auf. Manchmal scheint er in dieser Zeit sogar zu Himmlers Gefolge gehört zu haben, aber danach nichts mehr.«
»Nichts mehr? Was meinen Sie?«
»Ganz einfach. Es sieht ganz so aus, als habe die Erde diesen Mann im Herbst 1944 schlicht verschluckt.«
»Wissen Sie, welche Nationalität er hatte?«
»Die meisten Hinweise deuten auf eine norwegische Herkunft H. Steingrims hin, wahrscheinlich aus der Hafenstadt Narvik in Nordnorwegen, aber das ist keinesfalls sicher.«
»Er war also kein Isländer?«
»Haben Sie denn irgendwelche Hinweise darauf?«
»Nein, gar nicht.«
»Mehr weiß ich im Augenblick auch nicht über diesen Mann«, sagte der Professor. »Ich habe in verschiedene Richtungen Erkundigungen angestellt, beispielsweise zu |61| dem deutschen U-Boot. Ich hoffe auch, dass ich in den nächsten Tagen weitere Informationen bekomme. Wann können Sie mir die Scans schicken?«
»Sie sollten sie morgen in der Mailbox haben.«
Melkorka rüttelte ihren Mann wach und erzählte ihm von dem Gespräch mit dem amerikanischen Professor.
»Opa scheint den scheußlichen Ring offenbar nicht selbst von dem Naziführer bekommen zu haben, sondern dieser ominöse Norweger«, resümierte sie erleichtert.
»Bist du dir da so sicher?« Kári gähnte. »Was weißt du eigentlich über Höskuldurs Vergangenheit? Was hat er dir aus seiner Kindheit und Jugend erzählt?«
»Opa wollte immer lieber über mich sprechen als über sich.«
»Und deine Mutter?«, fuhr Kári fort. »Weiß sie beispielsweise, ob sich Höskuldur in jungen Jahren nicht in Norwegen aufgehalten hat?«
Melkorka stand abrupt auf, eilte in den Flur und schaltete die Deckenbeleuchtung des Gästezimmers ein, in dem Helga sich zum Schlafen hingelegt hatte.
»Hat Opa irgendwann mal in Norwegen gewohnt?«, fragte sie ohne Umschweife.
Helga setzte sich auf und blinzelte ihre Tochter kurzsichtig an.
»Ja, er hat während des Krieges da gewohnt«, antwortete sie und rieb sich die Augen.
»Hat er dir das selber gesagt?«
»Nein. Höskuldur wollte nie mit mir über diese Zeit sprechen. Dein Vater hat mir die Geschichte dann in groben Zügen erzählt.«
»Was für eine Geschichte?«
|62| »Dein Urgroßvater bekam kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs das Kommando als Kapitän auf einem norwegischen Schiff, und seine Familie folgte ihm nach Norwegen«, berichtete Helga. »Höskuldur verlor während des Krieges seine Eltern bei Luftangriffen. Deshalb kehrte er allein nach Island zurück, als wieder Frieden herrschte.«
»Warum habe ich davon nie etwas erfahren?«
»Du hast ja nie gefragt, oder?«
»Gute Nacht«, erwiderte Melkorka kurz angebunden und löschte das Licht.
Als sie wieder unter ihrer warmen, weichen Decke lag, musste sie sich
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