Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
Reich der Khorazon ist sicher, das ist die Hauptsache.« Er sah zu Boden und seufzte. »Eines Tages erheben sich über unseren Köpfen wieder die Eisenberge, das weiß ich genau.«
»Und du, kleiner Priester?«, fragte Sarn den Archivar freundlich. »Du bist den weitesten Weg von uns allen gegangen. Wirst du dich wieder auf den Weg nach Sol machen?«
Deneb schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde nicht nach T’lar zurückkehren. Ich bezweifle, dass man mich dort noch besonders willkommen heißen würde. Aber was viel wichtiger ist – ich will es nicht mehr. Unterwegs zu sein, das gefällt mir viel mehr. Ich denke, ich werde wieder in die Steppen von Ceranth gehen, wo ich das weite Land um mich herum sehen kann.« Etwas blitzte verschmitzt in seinen Augen auf. »Es gibt dort einen Stamm von Nomaden, die noch einen Schamanen brauchen können.«
Und es gilt da etwas in Ordnung zu bringen , fügte er in Gedanken hinzu. Wir haben Runland gerettet, aber um einen Preis, und er ist erst völlig bezahlt, wenn Eigin außer Gefahr ist.
»Ach, hier seid ihr«, riss ihn Königin Tarighs Stimme aus seinen Überlegungen. Die hochgewachsene, blonde Frau, die im Eingang des Söllers stand, sah heute wahrhaftig wie eine Herrscherin aus. Zur Feier des Tages trug sie einen goldenen Stirnreif und ein langes, tiefgrünes Kleid mit einer gewellten, ebenfalls goldenen Borte, das im abendlichen Sonnenlicht leuchtete, als sei die Frau, die es trug, wahrhaftig nicht völlig von dieser Welt. Alles an ihr war golden und grün. Jeder der Umstehenden wich unwillkürlich vor ihr zurück. Obwohl sie der Herrin des Regenbogentals bereits vorgestellt worden waren, starrten die beiden Khorazon Königin Tarigh an wie eine Erscheinung.
»Versteckt ihr euch etwa vor eurer eigenen Feier?«, fragte sie belustigt in die Runde. »Man sucht euch schon. Macht euch auf in die Große Halle!«
Diesem Befehl der Herrin des Regenbogentals wollte inzwischen jeder gern Folge leisten. Selbst die alte Sarn versteckte nur mühsam ihre aufgeregte Neugier hinter einer etwas mürrischen Fassade. Einer nach dem anderen gingen die Überlebenden jener außergewöhnlichen Schicksalsgemeinschaft an Königin Tarigh vorbei und ins Innere der Burg. Alfaard konnte noch immer kaum seinen Blick von ihr abwenden. Als Suvare an der Herrscherin vorüberkam, berührten deren Finger kurz die der rothaarigen Frau, und diese blitzte ihr ein Lächeln zu, bevor sie wortlos weiterschritt. Suvare sehnte sich nach der Stille der Nacht, wenn es nur noch sie beide geben würde. Sie zählte die Stunden. Goldenes und flammendes Haar vereint auf den weichen Kissen eines Bettes, größer als jedes, in dem sie jemals gelegen hatte. Bald.
Zuletzt war nur noch Enris auf dem Söller. Er wollte sich schon anschicken, den anderen zu folgen, als Königin Tarigh zu ihm ins Freie trat. Der junge Mann folgte ihrem Blick über das hügelige, langsam nach Westen abfallende Land, die von der wochenlangen Kälte noch brachliegenden Felder der Bauern, die vereinzelten Baumgruppen von Birken und Weiden und die graue Kette der Berge am Horizont, die das Regenbogental von allen Seiten einschloss – wie die Fassung eines moosgrünen Steines in einem Ring. Eine Erinnerung zog durch seine Gedanken, wie er mit Königin Tarigh am Fenster des Ratsturms in Menelon gestanden hatte und sie beide über ein anderes Land geblickt hatten. Anders und dennoch ein Teil dieser Welt, die noch vor wenigen Tagen am Rand zur Vernichtung gestanden hatte.
Die Herrin des Regenbogentals deutete über den Söller auf die Felder hinab. »Ist das nicht außergewöhnlich? In dem furchtbaren Wetter ist die gesamte Ernte erfroren, aber nun erleben wir noch einmal einen zweiten Frühling, obwohl nach dem Kalender schon Sommer war. Mit etwas Glück werden die Bauern eine Ernte einfahren können. Es wird keine Hungersnot geben. Die Schicksalsherrin ist uns offenbar wohlgesonnen.«
»Nicht die Schicksalsherrin«, widersprach Enris ihr. »Ich glaube, es ist Nerias Geschenk.«
Sie sah ihn aufmerksam an. »Du meinst ...«
»Sie ist nun der Wächter dieser Welt.« Er blickte zum Himmel. »Wer kann sagen, was ihr alles möglich ist.«
»Du musst sie sehr vermissen.«
»Ay, sie fehlt mir«, gab Enris zu. »Aber ich weiß, dass sie nicht tot ist, und das hilft mir. Ich sehe sie in den Wolken dort über uns, in der Form der Berge, hinter denen die Sonne verschwindet, im Wind, der durchs Gras fährt, und vor allem im Rauschen der Bäume, die sie so
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