Runterschalten
eine Pause, einen Zwischenstopp, dann entscheidet er sich fürs kontrollierte Driften.
Bei Sturm gibt es an Bord eines Segelschiffs nur eine Möglichkeit: „Abwettern“ – das heißt, einen Treibanker rauswerfen, alles gut festzurren und „die Schotten dicht“ machen, um im Innern des Bootes auf bessere Bedingungen zu warten. Es bedeutet, mitten im Tosen eine Pause einzulegen. Sie können sich diese Pause aber auch im Hafen erlauben, vor der Reise, wenn Sie Inventur machen. Diese Art der Pause betrachten wir im Kapitel „Stopp – die Sinnfrage“ ( siehe hier ) genauer. Wichtig ist, dass Sie einmal Abstand gewinnen von der unmittelbaren Situation und wie von oben auf Ihre Lage schauen. Vielen Kursänderungen im Leben geht eine Zwangspause oder ein Schiffbruch voraus: Burnout-Betroffene etwa finden sich wortwörtlich wieder, wenn sie in einer Klinik gelandet sind und eine Reha-Kur machen. Wer eine solche Pause, so einen Zwischenstopp macht, wird auch eine neue Sensibilität für Zeit entwickeln. Jetzt ist jetzt, wird er merken. Immer durch den Alltag navigieren und Ziele erreichen wollen heißt ja auch, die Gegenwart in ihrer Einzigartigkeit nicht mehr wahrzunehmen. Aber im Zwischenstopp ist alles Gegenwart, die Zukunft ist draußen und wartet. Wer weiß, ob nicht beim Verlassen des Hauses ein Ziegel runterfällt und man das Wunschziel gar nicht erreicht? Da ist es doch besser, den Moment schätzen zu können. Jeden Tag zu schätzen, auch wenn er vermeintlich nicht zu irgendeiner Zielerreichung beigetragen hat.
Es sind viele Gründe denkbar, um im Leben mal abzuwettern, Pause zu machen vom dauernden Entscheiden und Steuern. Beispielsweise, wenn man krank ist, geistig oder körperlich erschöpft ist oder unter „Dauerstrom“ steht und keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Wenn man sich aus irgendwelchen Gründen im Kreis dreht und „vor lauter Bäumen den Wald“ nicht mehr sieht. Aber auch, wenn man bei guten äußeren und inneren Bedingungen einen neuen Kurs mit neuenZielen setzen will. Der zweite Tipp für uns Steuerleute und das, was wir Lebenskünstler ohne Schifffahrtspatent brauchen, lautet also:
Keine schwerwiegenden Entscheidungen unter „Druck“ oder „Zugzwang“.
Stattdessen: Abwettern, Pause machen.
Pause machen vor dem Richtungswechsel,
Pause machen für die Inventaraufnahme.
Schiffbruch droht – entscheiden oder abwarten?
Viele Menschen versuchen, aktive Entscheidungen zu vermeiden, selbst wenn es um Leben oder Tod geht, sagt ein Mann, der es wissen muss, weil er seit Jahrzehnten über Entscheidungsverhalten forscht: Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Mit anderen Worten: Viele Menschen driften durch ihr Leben. Sie bekommen mehr oder weniger zufällig gute Jobs angeboten, nutzen Gelegenheiten, wenn sie sich bieten, folgen den Urteilen und Vorbildern anderer. Sie sind ganz und gar nicht „pro-aktiv“, wie die moderne Management-Philosophie es fordert. Und warum sollten sie? Sie kommen schließlich gut durch. Und außerdem: Wer lange als Drifter unterwegs ist, kann es mit der Angst zu tun bekommen, wenn man von ihm aktive Entscheidungen verlangt. Denn das ungewohnte aktive Entscheiden birgt ein klares Risiko: fehlzuschlagen.
Als Fehler kann sich freilich jede Entscheidung erweisen, egal, ob man oft oder selten entscheidet. Wer allerdings oft entscheidet, hat meist auch bestimmte Routinen für den Umgang mit Misserfolgen entwickelt, die ihn gegen die zu erwartende Häme der Umwelt abhärten und ihn zudem mit jenem Aufstehvermögen ausstatten, das nötig ist, um Schiffbrüche zu überstehen. Wir kennen diese Immunisierungsstrategie schon aus dem Kapitel „Ritterschlag zum Entscheider“: Führungskräfte schreiben Erfolge meist sich selbst zu und Misserfolge anderen bzw. den „Best-Practice-Modellen.“ Aber klar, auch hier kommt es auf die Dosierung, diesmal zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung, an. Viele Führungskräfte bekommen keine Rückmeldungen oder nur Beifall von außen. Da ist es fast unvermeidlich, dass manche von ihnen dabei die Bodenhaftung beziehungsweise ihren Realitätssinn verlieren.
Entscheiden birgt also das Risiko, eine Fehlentscheidung, einen Misserfolg oder einen Schiffbruch zu kassieren. Aber nicht entscheiden birgt dieses Risiko genauso. Auf eine Wahl zu verzichten, wenn man sie hat, ist auch eine Entscheidung.
Tipp
Nicht entscheiden geht nicht. Auch die Konsequenzen einer passiven Drifter-Haltung haben der
Weitere Kostenlose Bücher