Rush of Love - Erlöst: Roman (German Edition)

ich leise.
    »Und weshalb nicht? Er würde es nämlich wissen wollen, damit er Manns genug und für dich da sein könnte! Diesen ganzen Wegrennscheiß kannst du vergessen.«
    Sie wusste eben nicht alles. Sie wusste nur hier und da mal was. Nach Rushs Ansicht war es einzig und allein Nans Geschichte gewesen. Aber ich war da anderer Meinung. Es war auch meine Geschichte. Nan hatte immerhin noch beide Elternteile und ihre Halbbrüder. Ich hatte niemanden mehr. Meine Mutter war tot. Meine Schwester war tot. Und mein Vater hätte genauso gut tot sein können, so wie er sich mir gegenüber benommen hatte. Daher war diese Geschichte genauso sehr meine wie ihre. Vielleicht sogar mehr meine.
    Ich hob den Kopf und sah zu Bethy auf. Sie war die einzige Freundin, die ich hatte, und wenn ich ihr die Geschichte schon nicht erzählen wollte, ja, wem denn dann?

E s war drei Wochen, vier Tage und zwölf Stunden her, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Seitdem sie mir das Herz gebrochen hatte. Hätte ich etwas getrunken gehabt, dann hätte ich es auf den Alkohol geschoben. Es musste eine Illusion sein, der Verzweiflung entsprungen. Aber ich hatte nichts getrunken. Keinen einzigen Tropfen. Ein Irrtum war ausgeschlossen: Blaire. Sie war wirklich hier. Blaire war wieder in Rosemary. Und stand vor meiner Tür.
    Am vorherigen Abend war ich auf der Suche nach Bethy fünf Stunden lang durch die ganze gottverdammte Stadt gefahren, weil ich gehofft hatte, sie könnte mich zu Blaire bringen. Aber keine Spur von beiden.
    Es hatte wehgetan, nach Hause zu kommen und sich die Niederlage eingestehen zu müssen. Und ich hatte mir eingeredet, Bethy wäre immer noch bei Blaire in Sumit und hätte die SMS vielleicht in betrunkenem Zustand geschrieben.
    Ich sog Blaires Anblick förmlich auf. Sie war dünner, und das gefiel mir gar nicht. Aß sie denn nichts? War sie krank gewesen?
    »Hallo, Rush«, beendete sie die Stille. Beim Klang ihrer Stimme wäre ich beinahe auf die Knie gesunken. Gott, wie hatte ich sie vermisst.
    »Blaire!« Mehr brachte ich nicht heraus. Ich hatte Angst, allein meine Stimme könnte sie verscheuchen.
    Sie wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger und zupfte daran. Sie war nervös. Es war nicht gut, dass ich sie nervös machte. Aber was konnte ich dagegen tun?
    »Können wir sprechen?«, fragte sie leise.
    »Klar.« Ich trat zu Seite. »Komm rein.«
    Sie zögerte und warf einen Blick an mir vorbei ins Haus. Angesichts des Kummers in ihren Augen verfluchte ich mich innerlich. Hier, in meinem Haus, hatte man ihr wehgetan. Hier war ihre Welt zerstört worden. Verdammt. Ich wollte nicht, dass sie mein Haus in einem solchen Licht sah. Nicht, wenn damit auch so wundervolle Erinnerungen verbunden waren.
    »Bist du allein?«, fragte sie. Ihr Blick wanderte wieder zu mir.
    Sie wollte nicht auf meine Mom oder ihren Vater treffen. Jetzt kapierte ich es. Es lag nicht am Haus. »Ich habe sie noch an dem Tag, an dem du gingst, rausgeschmissen«, erwiderte ich und beobachtete sie genau.
    Sie riss die Augen auf. Warum erstaunte sie das so? War ihr das denn nicht klar? Sie stand an erster Stelle. Das hatte ich ihr in diesem Hotelzimmer doch gesagt. »Oh, ich wusste nicht …« Ihre Stimme verlor sich. Wir beide wussten, dass sie nichts wusste, weil sie mich aus ihrem Leben verbannt hatte.
    »Ich bin allein. Bis auf die Tatsache, dass Grant gelegentlich vorbeischaut, bin ich immer allein hier.« Sie musste wissen, dass sich an meinen Gefühlen für sie nichts geändert hatte.
    Blaire kam herein, und ich ballte die Hände zu Fäusten, als ich ihren süßen Duft einatmete. So viele Abende hatte ich dagesessen und mir gewünscht, dass sie wieder in mein Leben trat. In meine Welt.
    »Kann ich dir was zu trinken bringen?«, fragte ich. Eigentlich hätte ich sie viel lieber gefragt, ob wir miteinander reden konnten. Ob sie bei mir bleiben wollte. Mir verzeihen würde.
    Blaire schüttelte den Kopf und wandte sich zu mir um. »Nein, danke. Ich … ich wollte nur … nachdem ich in Rosemary bin, na ja, da …« Sie zog die Nase kraus, und ich kämpfte gegen den Drang an, ihr Gesicht zu berühren. »Hast du Cain verprügelt?«
    Cain. Scheiße. Sie hatte von der Geschichte mit Cain Wind bekommen. War sie hier, um sich mit mir über Cain zu unterhalten? »Er hat Fragen gestellt, die er nicht hätte stellen dürfen. Hat Sachen gesagt, die er nicht hätte sagen dürfen«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Blaire seufzte.