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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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setzte eine ernste Miene auf und
erzählte seiner Frau von Lukas Fluch. «Mir scheint», meinte er, «wenn hier
einer gezaubert hat, dann ist das unser junger Luka gewesen, und diese guten
Tiere sind gekommen, um sich bei ihm dafür zu bedanken.»
    Die
übrigen Zirkustiere flohen in die Wildnis und wurden nie mehr gesehen, Hund
und Bär aber waren gekommen, um zu bleiben. Sie hatten sich sogar etwas zum
Futtern mitgebracht. Der Bär hatte einen Eimer Fische dabei, und der Hund trug
ein Mäntelchen mit den Innentaschen voller Knochen. «Warum nicht?», rief
Raschid Khalifa fröhlich. «Beim Geschichtenerzählen könnte ich gut ein bisschen
Hilfe gebrauchen. Geht doch nichts über eine Tanzliednummer mit Hund und Bär,
um die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln.» Und so war es abgemacht. Das
letzte Wort behielt jedoch Lukas Bruder Harun. «Ich wusste, dass das bald
passiert», sagte er an diesem Abend zu Luka. «Du hast das Alter erreicht, in
dem man in unserer Familie die Grenze zur magischen Welt überquert. Jetzt bist
also du mit einem Abenteuer an der Reihe - ja, endlich ist es so weit. Allem Anschein
nach hast du nämlich gerade etwas in Bewegung gesetzt. Aber sei vorsichtig. Ein
Fluch ist eine gefährliche Macht. Ich habe es nie geschafft, etwas so, na ja,
etwas so Dunkles zuwege zu bringen.»
    Mein
eigenes Abenteuer, dachte Luka erstaunt, und sein
großer Bruder lächelte, weil er nur zu gut Lukas geheime Eifersucht kannte,
die eigentlich überhaupt nicht geheim war. Als Harun so alt gewesen war wie
Luka, war er zum zweiten Erdenmond gereist, hatte sich mit Fischen, die in
Reimen redeten, sowie mit einem Gärtner aus Lotuswurzeln angefreundet und
dabei geholfen, den bösen Kultmeister Khattam-Shud zu stürzen, der das Meer der
Geschichten vergiften wollte. Lukas bislang größtes Abenteuer hatte hingegen
während der Großen Spielplatzkriege in der Schule stattgefunden, als er mit
seiner Bande, dem Intergalaktischen Pinguin-Team, einen legendären Sieg über
die von seinem gehassten Rivalen Adi Rattenschiet, alias Roter Hintern,
angeführte Armee Seiner Kaiserlichen Hoheit davontrug, ein Sieg, bei dem Juckpulver
und ein tollkühner Luftangriff mit Papierflugzeugen eine entscheidende Rolle
spielten. Wie gut hatte es doch getan, Rattenschiet in den Spielplatzteich
springen zu sehen, weil es ihn am ganzen Körper so unerträglich juckte, doch
wusste Luka, dass er im Vergleich zu Haruns Taten bislang nur wenig erlebt
hatte. Harun seinerseits kannte Lukas Sehnsucht nach einem echten Abenteuer, am
besten einem, in dem fantastische Kreaturen, Reisen zu anderen Planeten
(zumindest aber ein paar Satelliten) und Vzszes, also Vorgänge
zu-schwierig-zum-Erklären, vorkamen. Bis heute aber hatte er stets versucht,
Lukas Sehnsucht zu dämpfen. «Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst»,
hatte er ihn ermahnt, woraufhin Luka nur erwiderte: «Ehrlich gesagt, das ist ja
wohl mit Abstand das Blödeste, was ich je von dir gehört habe.»
    Normalerweise
stritten sich die Brüder Harun und Luka allerdings selten; sie kamen sogar
ungewöhnlich gut miteinander aus. Der Abstand von achtzehn Jahren war wie eine
breite Kluft, in der sie viele jener Probleme verschwinden lassen konnten, zu
denen es sonst manchmal zwischen Brüdern kommt, all die kleinen Verärgerungen,
die dazu führen, dass der ältere Bruder den Kopf des kleineren schon mal
unabsichtlich gegen eine Steinmauer haut oder aus Versehen ein Kissen auf sein
schlafendes Gesicht presst, dass der jüngere Bruder auf die Idee kommt, die
Schuhe des großen mit süßlichem, klebrigem Mango-Pickle zu füllen oder seine
neue Freundin mit dem Namen einer Verflossenen anzureden, dann aber so zu tun,
als hätte man sich nur versprochen. Nichts davon. Stattdessen brachte Harun
seinem jüngeren Bruder allerhand Nützliches bei, zum Beispiel Kickboxen oder
die Kricketregeln, oder er erklärte ihm, welche Musik cool war und welche
nicht. Luka bewunderte seinen älteren Bruder ganz ungeniert und fand, er sah
wie ein großer Bär aus - eigentlich sogar ein bisschen wie Hund der Bär -, oder
auch wie ein gemütlicher, stoppeliger Berg mit einem breiten Grinsen oben am
Gipfel.
     
    *
     
    Zum ersten
Mal hatte Luka schon bei seiner Geburt für Erstaunen gesorgt, denn sein Bruder
war bereits achtzehn Jahre alt, als seine Mutter Soraya mit einundvierzig
Jahren einen zweiten prächtigen Jungen gebar. Ihr Mann Raschid suchte verblüfft
nach Worten und fand deshalb, wie so oft, viel zu

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