Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
Vom Netzwerk:
Reisende. Gelang ihm das nicht, war sein Leben verwirkt.
Unweit der Karawanserei markierte ein mit Stoßzähnen
bestückter Turm den Weg zum Palasttor. Alle Elefanten
gehörten dem Kaiser, und wenn er einen Turm mit ihren
Zähnen bespießte, bewies er damit seine Macht. Habt
acht, mahnte der Turm, Ihr betretet das Reich des Elefantenkönigs, eines an Dickhäutern so reichen Souveräns,
dass er die Stoßerchen von abertausend Tieren verprassen
konnte, nur um sich selbst zu schmücken und zu zieren.
Der Turm war zur Schau gestellte Macht, und der Reisende erkannte darin die gleiche Art von Eigensinn, die
auch auf seiner Stirn brannte wie eine Flamme, vielleicht
gar wie ein Zeichen des Teufels, doch hatte der Erbauer
des Turms jene Eigenschaft in eine Stärke verwandelt,
die bei dem Reisenden oft für Schwäche gehalten wurde.
Ist Macht die einzige Rechtfertigung für eine Persönlichkeit, die sich nach außen kehrt, fragte sich der Reisende
und fand keine Antwort, hoffte aber, Schönheit könne
eine weitere Entschuldigung dafür sein, denn schön war
er gewiss, und er wusste, sein Aussehen übte eine Macht
aus, die Ihresgleichen suchte.
Jenseits des Turms der Zähne befand sich ein großer
Brunnen und darüber eine rätselhafte, komplizierte Maschinerie, die den vielkuppeligen Palast auf dem Hügel
mit Wasser versorgte. Ohne Wasser sind wir nichts,
dachte der Reisende. Selbst ein Herrscher würde ohne
Wasser alsbald zu Staub zerfallen. Wasser ist der wahre
Monarch, und wir sind seine Sklaven. Daheim in Florenz
hatte er einst einen Mann gesehen, der Wasser verschwinden lassen konnte. Der Magier füllte einen Krug
bis an den Rand, murmelte einige Zauberworte und drehte das Gefäß um, doch statt Flüssigkeit ergoss sich ein
Strom bunter Seidenschals. Es war natürlich ein Trick,
und ehe der Tag zur Neige ging, hatte der Reisende diesem Kerl das Geheimnis entlockt und seinen eigenen
Mysterien einverleibt. Er war ein Mann vieler Geheimnisse, doch nur eines davon geziemte einem König.
Rasch stieg der Weg zur Stadtmauer an, und während der
Reisende mit jedem Schritt an Höhe gewann, erkannte er,
wie weitläufig der Ort war, zu dem ihn seine Reise geführt hatte. Dies hier war offenkundig eine der größten
Städte der Welt, größer, so fand er, als Florenz, Venedig
oder Rom, größer mithin als alle Städte, die er je gesehen
hatte. Einmal war er sogar in London gewesen, aber auch
jene Stadt war eine kleinere Metropole als diese hier,
welche noch zu wachsen schien, als das Tageslicht verblasste. Ganze Stadtviertel drängten sich vor den Mauern
zusammen, Muezzine riefen von Minaretten herab, und
in der Feme waren die Lichter der großen Landhäuser zu
sehen. Feuer flammten wie Warmlampen im Dämmerlicht auf. Und aus der schwarzen Schüssel der Nacht
antwortete das Gezüngel der Sterne. Als wären Himmel
und Erde feindliche Heere, die sich zur Schlacht rüsten,
dachte er. Als ruhten ihre Lager still in der Nacht und
warteten auf den nahenden Krieg des Tages. Doch in all
dem Straßengewirr, in all den Häusern der Mächtigen
drüben in der Ebene war kein Mensch, der je seinen Namen gehört hatte, niemand, der bereit wäre, die Geschichte zu glauben, die er zu erzählen wusste. Aber erzählen musste er sie. Dafür hatte er die Welt umreist, also
würde er es tun.
Er ging mit langen Schritten und zog manch neugierigen
Blick auf sich, allein wegen seiner Körpergröße, aber
auch wegen des gelben Haars, jener langen und zugegebenermaßen recht schmutzigen gelben Haare, die sein
Gesicht wie goldenes Wasser aus dem See umflossen.
Der Pfad schlängelte sich am Turm der Zähne vorbei,
hinauf zu einem steinernen Tor, auf dem sich zwei Elefanten im Basrelief gegenüberstanden. Durch dieses Tor,
das geöffnet war, drang der Lärm einer spielenden, trinkenden, essenden und zechenden Menschenmenge. Soldaten hielten am Hatyapul-Tor Wache, doch nahmen sie
es mit ihrem Dienst nicht allzu genau. Die eigentlichen
Schranken kamen später. Dies hier war ein öffentlicher
Ort, ein Ort, um sich zu treffen, um Handel zu treiben
und sich zu vergnügen. Menschen hasteten am Reisenden
vorüber, getrieben von Hunger und Durst. Auf beiden
Seiten der gepflasterten Straße zwischen dem äußeren
und dem inneren Tor gab es Herbergen, Wirtshäuser,
Essensstände und fliegende Händler aller Art. Hier fand
das ewige Geschäft des Kaufens und Gekauftwerdens
statt. Kleider, Gerätschaften, Flitterkram,

Weitere Kostenlose Bücher