Russische Freunde
Gussew zu sprechen. Obschon mir am Morgen in Mamas Küche klar geworden war, dass sie nicht nur den Stick bei mir suchten, sondern auch das Geld. Trotzdem, der Stick war bei der Polizei, die über alles informiert war, sie gewannen nichts mehr damit, wenn sie mir etwas antaten. Im Gegenteil. Die Polizei würde Fragen stellen. Um nicht wankend zu werden, war ich sofort aufgebrochen.
So ganz reichte mein Mut dann doch nicht aus. Statt direkt zu AdFin zu gehen und nach Gussew zu fragen, blieb ich einen Moment in der Schwanengasse stehen. Ich hatte Bettina versprochen, mich auf dem Erbschaftsamt um Tobias’ Sachen zu kümmern, um den persönlichen Inhalt seines Schreibtisches. Niemand aus Tobias’ Familie hatte das bisher getan. Eine Velokarte, ein paar juristische Bücher, nichts von Interesse, aber versprochen war versprochen. Ich überquerte die Strasse und ging auf die Passage zu, die zum Erbschaftsamt führte. Anschliessend wollte ich zu Gussew, das stand fest.
Ich sah sie im Profil. Nebeneinander traten sie aus der Passage und bogen mit schnellen Schritten nach rechts ab. Es reichte, den Mann und die Frau nebeneinander zu sehen. Ich wusste, wer das weisse Auto gefahren hatte. Sehr vorsichtig folgte ich den beiden, nur ein paar Meter, jederzeit bereit zur Flucht. Noch einmal sah ich sie im Profil. Kein Zweifel.
Katrin Näf, die Frau, die mich in der Betonfabrik in Münsingen abgekanzelt hatte, die Frau, die das Haus an AdFin verkauft hatte. Und Bernasconi, der unangenehme Typ aus dem Erbschaftsamt, der Fragen zu Perren nicht mochte. Sie waren Geschwister. Die Stupsnasen, das Hasenhafte. Sie nebeneinander im Profil zu sehen hatte gereicht. Gereicht auch, um die Übereinstimmung mit den Silhouetten im Auto zu erkennen. Sie hatten mich gestern mit dem Auto verfolgt. Näf am Steuer, Bernasconi als Beifahrer.
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Sie mochten es also nicht, wenn ich Nachforschungen zu Tobias Bucher betrieb und zum Haus im Kirchenfeld. Vergessen waren die dreckigen Jeans, verschwunden die Müdigkeit, Kopfweh und Übelkeit egal. Ich sass an meinem Schreibtisch, voller Ungeduld, nicht einmal um die Kaffeemaschine anzumachen hatte ich mir die Zeit genommen. Aber fünf Minuten, ein Telefonat später hatte ich die Bestätigung. Frau Näfs kleine Tochter hatte mir ohne Misstrauen Auskunft gegeben und bestätigt, dass ihr Onkel Werner Bernasconi hiess. Ich hatte mich nicht getäuscht.
Ich schloss Tobias’ Festplatte an meinen Computer an, und ich brauchte nicht lange. Bernasconi war für die Erbschaft zuständig gewesen. Für eine Frau Näf als Erbin. Für seine Schwester, seine Halbschwester, um genau zu sein.
Ich stellte mir vor, wie Tobias Bucher, der unerfahrene Praktikant, damit beauftragt war, Akten für die Archivierung vorzubereiten. Wie er Kopien machte, das Dossier ordnete, alles in die richtige Reihenfolge brachte. Wie er sich die Unterlagen der Liegenschaft im Kirchenfeld etwas genauer ansah, weil die Zeitungen ausgerechnet damals über den Kauf fürs Museum berichteten. Wie er diese Akten vor sich hatte, als zufällig ein Anruf von Katrin Näf bei ihm landete. Wie sie sich nach ihrem Bruder, Werner Bernasconi, erkundigte. Das vielleicht nicht gerade. Aber Tobias hatte sich die Akten angesehen und begriffen, dass Katrin Näf und Bernasconi verwandt waren. Die Fantasie ging mit mir durch, egal, jedenfalls hatte Tobias Verdacht geschöpft.
Weil es eigenartig war, dass eine Verwandte der von Amtes wegen zuständigen Person zu einem grossen Vermächtnis kam. Eine Verwandtschaft, die nicht auffiel, weil die Halbgeschwister nie den gleichen Nachnamen geführt hatten. Ich hielt die Fakten auf einem Notizblock fest. Bernasconi hatte das Testament der Anna Herzig in Empfang genommen, er hatte seinen Eingang registriert und quittiert und später das Testament eröffnet. Möglicherweise war er bei der Versiegelung zugegen gewesen. Fast alles war über Bernasconi abgewickelt worden. Und über einen Notar, über Perren.
Ein gefälschtes Testament, vermutlich. Eine ältliche Handschrift zwar, aber nicht unbedingt diejenige der Anna Herzig. Eine alte Dame ohne Nachkommen. Niemand, der sich für ihr Vermächtnis und ihre Beziehungen interessierte, niemand, der nachfragte oder das Testament prüfen liess.
Tobias hatte sich von weiteren Testamenten Kopien gemacht, zwei davon sah ich mir jetzt genauer an. Auch hier handelte es sich um Personen ohne Nachkommen. Gut möglich also, dass es mehr als diesen einen Fall gab. Ich sah nach, wer in
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